Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
(zumal ja nach wie vor private Einsprengsel drin), ob’s angebracht. On verra . An dem Hansen jedenfalls gefällt mir die Mischung aus wohlerzogener Leis-heit und knallhartem Business-Man.
Ich braue mir ein mächtiges «Früher war alles besser» zusammen, wie alle alten Männer es tun: Am Dienstag bei der Brecht-Akademie-Feier in Berlin – der Bundespräsident hatte immerhin einen so intelligenten Redenschreiber, daß er von den «Fragen eines lesenden Arbeitslosen» sprach – war ich BERÜHRT, herzergriffen von Monks Rede: Sie skizzierte seine allererste Berliner-Ensemble-Erfahrung, Probe und schließlich Premiere der MUTTER COURAGE; und als er erzählte, wie sie, die jungen neuen Hilfsregisseure, sich erstaunt umgeblickt hätten, wer denn die anderen jungen Leute «da unten» seien/gewesen seien, offenbar Studenten, erinnerte ich mich: Ja, es waren Studenten, und ich war einer von ihnen, damals, 1949, und Papa Pisarek hatte uns Eingang und Besuchserlaubnis verschafft. Ästhetische Prägung bis heute, diese frühen Brecht-Erlebnisse – dieselbe wehmütige Erinnerung stieg hoch, als Geschonneck (ich hielt ihn für längst tot) nochmal aus dem Matti las – der «Matti aller Mattis», wie Monk ihn zu Recht nannte … lief schließlich weg und betrank mich alleine in der PARIS BAR.
15. Februar
Ich vereinsame in meinem melancholischen Hochmut – egal; ein heutiges SPIEGELgespräch mit Walter Jens, der sein Geschwätz «Rhetorik» nennt und vor dem 2 töricht-beflissene Redakteure (leider auch der nette Hage; den anderen, Schneider oder Schreiber oder so, kenne ich garnicht) «auf den Knien ihres Herzens» mitschreiben, egal, was für einen Unsinn er schwadroniert, kränkt mich auch: Zwischen Catull und Aristophanes eitelkeitgirlandiert das so hin, zwischen irgendeinem englischen Brocken und paar Zeilen weiter «ich kann kein Englisch» (aber, natürlich Latein und Griechisch, weswegen kein Absatz ohne «multum non multa»-Kauderwelsch, was die SPIEGEL-Spießer offenbar für «Bildung» halten), kein Absatz ohne «Ich habe 150 Einladungen pro Jahr» und «Wie sagte doch Franz Josef Strauß über mich», «Ernst Bloch sagte mir» oder «Ich sage mit Lessing». Es ist zum Speien. ABER, aber, wenn in meinem Interview Toni Morrison IN EINEM NEBENSATZ sagt: «Ich weiß, Sie waren mit James Baldwin befreundet», dann rät mir sogar meine Sekretärin: «Streichen Sie das, das wird man Ihnen übelnehmen.» Der Herr Jens darf natürlich sagen «Da sage ich mit Lessing …» – aber ich darf nicht mal befreundet gewesen sein, mit wem ich BEFREUNDET WAR …
Seltsames Lebensgesetz des «Hinterher»: HINTERHER geht man, wie vor 4 Tagen, in jenem CÖLLN-Austernkeller mit mir essen, in dem man mich (als Feuilletonchef) schändlich entließ; HINTERHER hält – zu meinem 60. – Ledig-Rowohlt eine Rede: «Die Jahre mit Raddatz waren die besten Jahre meines Lebens», jener Ledig, der mich PER TELEGRAMM rausschmiß; HINTERHER …
Kampen, den 19. Februar
DER EINSAME IST BÖSE – diesen auf ihn gemünzten, höchst doppeldeutigen Satz Diderots nahm Rousseau besonders übel; zumal eben nicht klar war/ist: einsam, weil böse – oder böse, weil einsam.
Wie ist’s bei mir/mit mir? Werde ich einsam(er), weil bitter, oder bitter, weil …? Ich befinde mich in einer Negativ-Spirale, weiß nicht, bin ich «etepetete» und der komische Alte mit Gamaschen und weißen Handschuhen – oder verludern eben doch die sozialen (also auch menschlichen) Geflechte.
Da zu jeder Tragödie die Farce gehört, kommt nun das andauernde ICH BIN EIGENTLICH EIN KÜNSTLER-Gewusel hinzu, das mich auch nervös macht: Heute, 10 Tage überfällig, kommt ein dickes Couvert aus der Klinik Würzburg, in dem ich die endgültigen Resultate für meine Polyneuropathie vermutete: Ich nahm es im Wagen mit hierher, um nicht zu «gestört» vor/bei der Autofahrt zu sein: Darin ist EIN KOCHBUCH des behandelnden Professors, gewidmet «dem großen Schriftsteller»!!! Schreiben müßte man können. Er will nicht Neurologe, er will SCHRIFTSTELLER sein. Wie ein Herr Jupp o. s. ä., ein schwuler Modemacher, der in einem Interview erklärt (nachdem er 150 Millionen für seinen Hosenladen bekommen hat; auch das schon obscön, wenn man denkt, das war DIE ZEIT bei Verkauf wert …): Er wolle nun schreiben: «Schreiben hat eine tiefe Musikalität. Ich habe dadurch versucht, eine Gleichzeit (!!!) zu meinem Herzrhythmus herzustellen.» Jupp Joyce. Der Hosenhändler wird nun wohl
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