Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
für ihn zusammenfasse in dem Satz «Vater, koof mir nen Appel», hübsch und eindringlich, ergeben ein kleines Zitatenlexikon. Aber die confessio «Natürlich wünscht sich ein vernünftiger Mensch nur das Zulässige, das Mögliche, das Wohlmotivierte» mag gut fürs Leben sein. Es ist schlecht, weil zu niedrig gehängt, für die Kunst.
Kampen, den 7. Juni
Besuch von Hochhuth – und Abendessen; von IHM eingeladen: Das macht auch nur noch ER! –: wie stets mit ihm ein so absonderlicher wie freundschaftlicher Abend. Diesmal gar Aufgabe des Sie – mir ist die Duzerei garnicht so recht, es ist falsche Nähe: Daß man sich – wie alle Welt – mit Augstein duzt, heißt GARNICHTS, hat etwas von «Johann», also Chauffeursintimität.
Apart war die Abnahme des Hörens bei Zunahme der Egozentrik. So sprach ich von MEINEM Yourcenar-Essay, er verstand aber nur Yourcenar und Essay, sprach eilendst von deren Essays – ich sofort von ihrem HADRIAN (dessen Breitwandgeschmücktheit ich nicht mag), worauf er prompt Thomas Manns – etwas unverständliche – Bewunderung für diesen historischen Schinken parat hatte. Schöne Bühnendialoge, aneinander vorbeigleitend. Gelegentlich redete jeder von uns beiden gleichzeitig – also war keiner interessiert daran, was der andere sagte –, und keiner setzte voraus, der andere sei es. Verhakte Monologe. Bei Hochhuth sind es meist auch Bildungs-Sturzbäche, er ist ja ein wandelndes Bildungslexikon, weiß nicht nur, wer Herr von X war, der auf dem berühmtem Akademiefoto zwischen Heinrich Mann und Thomas Mann saß, sondern hatte auch Bücher von dem gelesen, die er zitieren konnte, und weiß auch, welcher liberale Abgeordnete es war, der Bismarcks Forderung nach «Recht auf Arbeit» in der Verfassung «kommunistisch» nannte. Dazwischen kommen dann hübsche kleine Selbstrechtfertigungen à la: «Nun habe ich dem Peymann ein teures Theater gekauft.»
Lustig oder mehr die Frage, wer von uns beiden eitlen Pfauen mehr respektive weniger Selbstbewußtsein habe.
13. Juni
Ohrfeigen-Freitag für den has-been . Zu meinem (was niemand wissen konnte: LETZTEN) großen Fest gestern kamen reihenweise Absagen – mal verlogen à la «ich komme vielleicht», mal noch, besonders unfreundschaftlich, am selben Nachmittag.
Das hat zwei Seiten: Zum einen bin ich nicht mehr «interessant» genug, weil ich ja keine Aufträge zu verteilen habe; wär es so, kämen sie in Scharen. Zum zweiten haben wir alle inzwischen Commerz-vergiftete Hirne, wir lassen keine dämliche Vorstadtlesung, kein Interview, keinen Vortrag «fallen» für einen Freund. OBWOHL alle so wohlhabend – interessant, wieviel Absagen mit der Begründung «Wir fahren gerade für … Wochen in unser Haus in Italien/Frankreich/Dänemark/Portugal» kamen.
Es wurde dann dennoch ein rauschendes, wunderbares Fest, genug lustige und interessante Leute, Joachim Kaiser – extra aus München, diesmal besonders charmant/lustig/geistreich; FAZ-Schirrmacher – extra aus Frankfurt – von lässiger Gebildetheit und sehr selbstverständlichem Machtbewußtsein; der still-feinsinnige ZEITchef de Weck – – – 35 Gäste tummelten sich um ein reiches Buffet und tranken – als letzter kam Christoph Eschenbach mit 3 «boys» um 2 Uhr morgens – über 100 Flaschen leer.
Anders der Abend vor dem meinen, ZEITempfang zum Abschied von Christoph Bertram im fein-dämlichen Anglo-German Club, bei dem nicht nur die verlogene Dönhoff mir ins Gesicht fabulierte, wie fabelhaft sie mich als Feuilletonchef IMMER gefunden habe, die Verräterin, sondern bei dem die grau gekleideten «Damen und Herren» gleichsam auf ihren Händen saßen, bis ICH – «das vorlaute Fritzchen» – ein paar Worte sagte (die den Geehrten zu Tränen trieben), aber hinter der Hand mag es eher heißen: «Was reißt der eigentlich ungebeten seine Klappe auf.»
Gerds Bericht nach der Party: «Man nennt dich ‹die Langspielplatte›» (so habe Gisela Augsteins Lover gesagt), weil ich zu oft zu lange rede, ist nicht direkt ermunternd.
Hôtel Palais Maeterlinck, Nizza, den 2. Juli
Ein Brief von Gerd hierher, er habe nun die See-Bestattung für sein Ende gewählt, und zwar das Meer vor Sylt – «Dann sind wir einander doch nahe» –, hat mich tief berührt.
Das Chefredakteurs-Wort «Ironie kommt nicht an» hat eben doch Gültigkeit: Kürzlich erlaubte ich mir den Scherz, in einem Artikel zu schreiben: «‹gediegen› – ach, ich weiß leider nicht, woher das Wort gediegen stammt»
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