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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Im «Boot»-Artikel war kein «Fehler» (sowenig wie in dem Jünger-Aufsatz), vielmehr habe ich wieder und wieder und immer noch einmal versucht, die große Frage nach historischer Schuld, nach politischem Versagen, nach Vergessen und Verscharren und löckchendrehendem «Ich wußte von nichts» zu stellen; mal scharf, mal traurig, mal analytisch, mal wohl auch verzagt – meine Freundschaft mit Alexander Mitscherlich gründete nicht zuletzt darauf. Aber diese Fragestellung war «unerträglich» – so Bucerius hocherregt zu dem damaligen Fernsehspiel-Chef des NDR am Abend nach Erscheinen meines «Boot»-Artikels. Auch in dieser Auseinandersetzung strapazierte Bucerius den Begriff «Moral»; wobei gänzlich unklar blieb/bleibt, was gemeint war: A-Moral? Un-Moral? Moral-Losigkeit (in which aspect)?
    Das zweite Beispiel: Als ich Rolf Hochhuths Angriff auf den damaligen Ministerpräsidenten Filbinger veröffentlichte (abermals eine «Nachfrage» nach schuldhaftem Versagen …), war Bucerius außer sich. Er war umgehend bereit, um die «Sache zu bereinigen», einen größeren Betrag, eine Art «Bußgeld» an eine caritative Organisation zu überweisen und der Sache nicht weiter nachzugehen. Nur Hochhuths Starrköpfigkeit (er nahm Anwälte auf eigene Kosten) war/ist zu verdanken, daß geschah, womit sich dann die ZEIT schmückte: der Rücktritt von Filbinger nach klarer Beweislage, die herbeizuführen Gerd Bucerius keineswegs erpicht gewesen war.
    Der Brief – halten zu Gnaden – ist viel zu lang geworden. Sie sind ein kluger Leser und haben natürlich längst bemerkt: Er ist der eigenen Hygiene wegen geschrieben, auf gar keinen Fall als «Intervention» zu Ihrem Text, der selbstverständlich so erscheinen soll, wie Sie es für richtig halten. Ich fühle mich nicht aufgerufen noch befugt, Ihre Arbeit zu korrigieren oder zu rezensieren – füge aber zweierlei, das gar nichts mit mir zu tun hat, für den Biographen an:
    Sinngemäß schreiben Sie, Bucerius habe es sich zur hehrsten Aufgabe gemacht, sein «Lebenswerk DIE ZEIT» zu erhalten. Das genau hat er nicht getan, rätselhafterweise, indem er der ZEIT von seinem beträchtlichen Vermögen keinen Pfennig zur Verfügung stellte (beträchtlich oder, nach Verkauf der Bertelsmann-Anteile, immens), sondern alles der Stiftung vererbte, die alles darf, nur eines nicht: die ZEIT in schwierigen Zeiten unterstützen.
    Auch das zweite Detail scheint mir nicht uninteressant für einen Biographen: Als wohl einziges beträchtliches Zeitungsunternehmen hat die ZEIT keine Regelung für eine Altersversorgung der Mitarbeiter – im Gegensatz zu Springer oder SPIEGEL, Bertelsmann oder FAZ. Vor vielen Jahren ging ich gemeinsam mit Diether Stolze zu Bucerius, um ihm eine faire Regelung für diejenigen, die ja wohl auch sein Vermögen mitschufen, vorzuschlagen. Ich habe selten einen solchen Wutanfall erlebt, Bucerius raste durch sein Zimmer, riß Leitzordner aus den Regalen und wirbelte sie durch die Luft, immer wieder rufend: «Ich kann das Wort Altersversorgung nicht hören.» Noble Worte eines Milliardärs.
    Ja, lieber Herr Dahrendorf, ich bin «wohlauf», wünsche weiter Freude an Ihrer Arbeit, Gelingen und grüße Sie freundlich mit der Verwunderung, warum Sie mir mein middle initial nehmen?
    P. S. Damit dies alles nicht etwa übellaunig klingt, füge ich an, daß Gerd Bucerius es sich – kurz nach einer schweren Operation – nicht nehmen ließ, zu dem Empfang im Anglo-German Club zu kommen, den die ZEIT anläßlich eines Geburtstages für mich gab; mit den Worten: «Mindestens das bin ich Ihnen schuldig, nach allem, was ich Ihnen angetan.» Und daß er mich, vielleicht zwei Jahre vor seinem Tod, in meinem Kampen-Domizil besuchte, sich nach meiner extemporierten, fast zweistündigen Blatt-Kritik – «Hilde, unterbrich ihn nicht» – von mir mit den Worten verabschiedete: «Das waren die denkwürdigsten zwei Stunden der letzten Jahre für mich.»
    29. Oktober
    «… denn ich bin in den Jahren, und wenn man alt wird, beginnt die große Vereisung, der Rückzug über die Beresina, die Armee geschlagen, die Fahne versenkt»: mein neues Opfer Gottfried Benn.
    Alles auch nicht ohne – bittere – Komik. Heute früh Anruf meines – damals ja tüchtigen – Heine-Verlegers. Des kleinen Autors Herzchen bibberte: «Einer wenigstens meldet sich, er wird ein Buch aus meiner Serie machen wollen, er wird meine Essays verlegen wollen, er wird die Benn-Biographie bei Ullstein auslösen wollen»;

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