Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
erbeten, weil ein anderer Aufsatz für die Seite 1 plötzlich ausgefallen war («Nur Raddatz kann helfen»), spät in einer Stunde mit Hilfe von (verwechseltem) Archivmaterial kurz vor Andruck geschrieben, gegengelesen vom Chefredakteur und zwei Mitgliedern des politischen Ressorts – und dann halt eine schiefgegangene Pointe. Hélas. Derlei – wenn Ted Sommer den toten Roosevelt an einer Drei-Mächte-Konferenz teilnehmen ließ; wenn die Gräfin den Warschauer Aufstand mit dem Aufstand des Warschauer Ghettos verwechselte – wird/wurde gemeinhin mit einer versteckten Zeile «Die Redaktion bedauert den Irrtum» abgetan. Sintemalen ich aus dem schiefen Witz kein Argument gemacht hatte. Ganz anders als etwa Helmut Schmidt, der in einem Artikel über Henry Moore (ZEIT Nr. 27/1986) die FAZ scharf angegriffen hatte mit unterstellten Sätzen, die nicht von der FAZ stammten – und sich prompt von der FAZ empört zurechtweisen lassen mußte. «Die Darstellung in der ZEIT ist insoweit nicht korrekt», las man in der ZEIT; das war’s. Bei mir aber war’s anders. Wieso?
Sie selber – ich nehme an, in Ihrem Helmut-Schmidt-Kapitel wird diese FAZ-Panne nicht erwähnt – zitieren nun aber, die Zitatdramaturgie suggeriert: zustimmend, Einwände eines FAZ-Kritikers gegen mein berühmt-berüchtigtes Dossier «Wir werden weiterdichten, wenn alles in Scherben fällt» (ZEIT Nr. 42/1979); dazu Vorbehalte von Herrn Jens (auch dies ein ungewöhnlicher Fall: daß die Redaktion bei einem Außen-Mitarbeiter dringlich die Zurechtweisung ihres Feuilletonchefs bestellt; können Sie sich Herrn Buhl vorstellen, wie er Infamien gegen den Politikchef bestellt?). Nur: Kaum etwas an meinem Dossier war falsch: Erich Kästner war Mitglied der Reichsschrifttumskammer und hat pseudonym an Goebbels’ Ufa mitgearbeitet; Peter Huchel hat – unter dem Motto «Ich habe zwölf Jahre lang geschwiegen» – fünfzehn Hörspiele im Reichsrundfunk geschrieben; Günter Eich hat höchst dubiose Hörspiele in den zwölf Jahren verfaßt; Wolfgang Koeppen ist in der Nazizeit – unter dem Motto «Ich war emigriert» – nach Nazideutschland zurückgekehrt, wo zwei seiner Bücher erschienen (nicht denkbar bei/von Brecht oder Tucholsky). Der «Fehler»: Koeppen war ein Jahr früher zurückgekehrt, als ich angegeben hatte. Das darf man wohl eine «läßliche Sünde» nennen.
Inzwischen werden/wurden, meiner These «Es gab keine Stunde Null» folgend – wer zu früh kommt, den bestraft das Leben –, Essays, Dissertationen, Biographien (Eich) verfaßt, die all das bestätigen und erweitern.
Nein, lieber Herr Dahrendorf, wenn die Summe meiner ZEIT-Tätigkeit nur unter «wild, aber fehlerhaft» zu rubrizieren wäre, dann bliebe immerhin unerklärlich, wieso ich später unter wechselnden Chefredakteuren immer wieder gebeten worden bin, aufs neue die Leitung des Feuilletons zu übernehmen. Es könnten ja, gebe ich zu bedenken, auch Leidenschaft, Temperament, Engagement und, wer weiß, vielleicht auch ein Gran Begabung mit im Spiele gewesen sein. Daß unter meiner Leitung weiland die Elite des Landes im ZEITfeuilleton publizierte – ob Grass oder Walser oder Böll, Biermann oder Stephan Hermlin oder Hans Mayer, Thomas Bernhard oder Peter Handke oder Hubert Fichte, Enzensberger oder Tabori, Jurek Becker oder Jürgen Becker, Günter Kunert, Erich Fried oder eben Rolf Hochhuth; to name a few – alles nur «wild»? Meine ZEITgespräche mit James Baldwin oder Max Frisch, Czesław Miłosz oder Susan Sontag füllen drei Bände der edition suhrkamp. Man wird nicht direkt rapportieren können, daß nach «Bismarcks Entlassung» die Glanzzeiten des ZEITfeuilletons begonnen hätten.
Es ging also im Auf und Ab meiner Beziehung zu/mit Bucerius um Anderes, um Gravierenderes: Es ging um Richtungskämpfe. Es war eine inhaltliche Auseinandersetzung.
Zwei Beispiele. Da Sie selber die «Moral»-Kategorie einführen, darf ich an meinen bösen Disput mit dem Inhaber anläßlich meines Artikels zu dem Film «Das Boot» (nach dem Buchheim-Roman) erinnern. Annehmend, daß Ihnen die Verliese des Vatikan lückenlos zugänglich, füge ich hier lediglich meinen Brief an Bucerius bei (nicht die Artikel, nicht seinen Brief, nicht den im Namen des gesamten Ressorts von Rolf Michaelis geschriebenen Protestbrief). Dieser Dissens macht überscharf deutlich: Gelegentliche, immer unwichtige «Fehler» waren das Instrument des klugen Advokaten, um eine inhaltliche Position dem Blatt zu amputieren:
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