Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
Vom Netzwerk:
des BE. «Ich rufe nachher später oder morgen noch mal in Ruhe an.» Das war’s.
    Anruf Grass. Berichtet amüsant von der «Stockholmer Ehrung», wie er es nennt, sagt ganz gemütlich auf meine leicht entsetzte Frage, wieviel Zimmer er denn im Hotel bewohnt habe mit seiner Cavalcade aus 6 Söhnen und vier Enkeln: «Na ja, das kann ich mir ja wohl noch erlauben.» Erzählt von einem Lübecker Seminar – «Ich wollte das so, statt einem Fest-Diner» –, bei dem Thomas Manns Faustus und sein WEITES FELD – die Rezeption der Romane, NICHT die Romane – verglichen wurden. Geht das?
    31. Dezember
    Jahrhundertende UND – wenngleich falsch gerechnet – Jahrtausendende. Unrationale Mischung aus «na und» und Doch-Emotion in mir. Das eine wohl der Kopf, das andere in tieferen, also nicht kontrollierbaren Regionen; das zeigen Träume: Ich zurre in denen mein Leben, gar eine Lebens-«Bilanz» zurecht, lege mir (der alte Fehler) wie eine wärmende Stola meine «Berufswelt» um; arbeite an einem großen DDR-BRD-Buch, mache mit Enzensberger einen Film in meiner Wohnung, in dem er «ganz in Weiß» die Hauptrolle spielt und in dem Rühmkorf, als Eisenbahner kostümiert, eine Art Schaffner – also Nebenrolle – zu mimen hat, in dem dann aber auch Heiner Müller auftaucht und gar – besonders abstrus – Paul Wiens, den ich ja mal mochte, der oft in meiner Ostberliner Wohnung war – – – – und den man nun als IM «enttarnt» hat, eine Art Literaturgoulasch, dessen Ingredienzen ich sonderbarerweise nach dem Erwachen nicht vergesse. Die andere Dimension: ganz lebhafter und sehr erotischer Traum von Ruth (wobei erotisch-sexuelle Träume selten bei mir sind), da tauchen also Blasen als Grundmotiv zum Thema «Unser ungelebtes Leben» auf aus dem Schlamm der Vergangenheit.
    Bilanz? Wohl keine. In den Vordergrund schiebt sich das Gefühl von «alles eitel», durchaus im Doppelsinn: also auch «alles vergebens». So viel Elan, so viel Kameradschaftlichkeit (zu Schriftstellern), so viel Leidenschaftlichkeit, auch ein kleines Talent-Splitterchen: «Im Ergebnis!», wie das im russifizierten Ulbricht-Deutsch hieß: Null. Mein neues Opfer – die Arbeit an dem Benn-Buch stülpt mich sehr um, die fast geniale Mischung aus eisig-kunstbesessen-geschichtsabweisend – sagt: «Aber man muß doch leben – – – muß man?»

2000
    10. Januar
    Alberner Brasch-Anruf: «Meine Liebe gehört ihm», sagt er meiner Haushälterin am Telefon, das möge sie mir ausrichten. Als ich zurückrief, saß er in der Theaterkantine vom Berliner Ensemble, neulich saß er im Ganymed – wo und wie lebt so jemand? Er erzählte von einem nie veröffentlichten «Roman»-Manuskript der Hurwicz, das sie 1947 «im Auftrag» von Brecht geschrieben hat und aus dem er «und Kathi (Thalbach)» Ende Januar im BE lesen. Interessant daran nur, daß Brecht derlei «in Auftrag» gab, weil er die ihn umgebende (Ostzonen/DDR-) Wirklichkeit nicht kannte, er «ließ sie sich berichten».
    Dann, auch in den ersten Tagen des Jahres, langes Telefonat mit Grass – ein («Hör»-)Bild des Jammers: Ute mit der 2. Lungenentzündung im Krankenhaus, er – der nun wahrlich Weltberühmte – alleine im Hause OHNE JEGLICHE HILFE, keine der zahllosen Töchter, Enkeltöchter, Schwiegertöchter, die ihm auch nur ein Spiegelei briete, eine Haushälterin gibt es in diesem armen Haushalt offenbar nicht – – – – UND er weiß nicht, wie und wo er sich erkundigen soll nach einem Sanatorium o. ä. für Ute, wohin er mit ihr nach der Krankenhausentlassung fahren will. Faktisch könnte er das Büro des Bundespräsidenten anrufen …
    «Und woran arbeitest du?» – immerhin. Auf die Benn-Nachricht kam: «Weißt du, daß mein Lehrer Hartung seinerzeit Gedichte von mir an Benn schickte, der sie interessant fand, aber meinte: ‹Der Mann wird Prosa schreiben!!!›»
    ICHICHICHICH.
    Am Wochenende das strapaziöse Antje-Landshoff-Unternehmen: wie vor 10 Jahren nun diesmal zu ihrem 60. ein «Fest» im Allgäu. Dazu reisten die Menschen aus Hamburg und New York, Neapel und Milano, Berlin und der Karibik an. Nun ja, nein, sie reisten wegen und für Antje an, und das ist ja auch rührend, spricht für sie, daß sie so viele «Freunde» oder wenigstens Bekannte hat, die «ihr die Ehre erweisen»; aber, aber – «bitte machen Sie Umstände, Butterbrot habe ich alleine», diesen Else-Lasker-Schüler-Satz hätte sie doch EIN WENIG befolgen können/müssen.
    Am Ende des Abends – «endlich» –

Weitere Kostenlose Bücher