Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
er wird wollen, möchten, können, sollen. Er war entlassen worden (in der Lesart: «Ich habe gekündigt!»).
Ähnlich verschattet mein Besuch vor paar Tagen bei Wapnewski in Berlin: alt, resigniert, müde, verabschiedet, krank. Der elegante Mann – geradezu mühselig noch ein Döschen Caviar und ne Flasche Champagner credenzend – lebt in die Schäbigkeit hinein, ohne Personal, die Wäscheschleuder sichtbar, die Badezimmertür offen, im Flur das Herz-Fahrrad, die Kerzen nicht angezündet und das Essen zwischen Büchern und Papieren, alles mit evidenter Anstrengung. «Abends esse ich Tütensuppen» – – – dieses Wort aus SEINEM Munde! Geplagt derart von Schmerzen, daß er kürzlich auf dem Rinnstein einer Straße saß und weinte. Mein treuer Freund wird zu einer Beckett-Figur.
2. November
Nachdenklich machender Satz von Alfred Aschauer, als er sich gestern (zu spät in der Nacht) verabschiedete: «Schön hast du’s hier; auch gut?»
Und erschreckendes Gespräch mit seinem Kollegen, dem Maler/Ex-Maler – «Ich male nicht mehr, bin ausgebrannt» – Rainer Küchenmeister, der mich aus Paris nach Lektüre der FEINDBILDER-Serie in der ZEIT anrief. Er ist ein Überlebender der ROTEN KAPELLE, sein Vater, Mitglied dieser kommunistischen Widerstandsgruppe, wurde in Plötzensee geköpft. In Ostberlin nannte man eine Straße nach ihm, deren Name per Umtaufe nach der Wende gelöscht wurde. Küchenmeister – «Sie haben meinen Vater zum 2. Mal getötet» – trat mit einem langen Brief der Erläuterung aus der Berliner Akademie aus. Herr Präsident Walter Jens ließ nicht einmal den Eingang bestätigen, geschweige denn würdigte er Küchenmeister einer Antwort.
4. November
Tapfere Knef. Die Zeitungen sind voll mit/über eine(r) neue(n) CD, einige hochrühmend. Ein sympathisches Stehaufweibchen, nach 1000 Krankheiten, Scheidungen, Finanzkatastrophen und sonstigen Abstürzen; «unsere Generation» gibt nicht so leicht auf … wie lang es wohl her ist, als sie bei einem meiner Feste am Leinpfad – «Was hast du da für ne scheußliche Pufflampe?» sagte sie zu einer wunderschönen Jugendstil-Lampe – über den Herrn Augstein wegschnippte, der sich irgendwie huldvoll-blasiert zu ihr herabließ: «Ach, wissen Se, mein Lieber, Sie denken, Sie seien berühmt. Steigen Sie mal in Alabama die Gangway runter – da wird Sie kein Schwanz erkennen. Mich aber!»
Radisson SAS, Berlin, den 24. November
70. Geburtstag von Günter Gaus, der, schwer krebskrank, sich dennoch ein solches «Fest» nicht ersparen mochte. Die Reise hatte ein makabres Motto: Als ich vormittags auf einer Behörde meinen neuen Personalausweis holte und sah, daß er wiederum befristet ist, bemerkte ich zu dem pickligen Behördenjüngling: «Gilt ja wieder nur 10 Jahre!» Worauf der sagte: «Das reicht ja wohl auch.» Fand er, für mich …
So empfing also der zum Tode verurteilte, schrecklich gealterte, von der Chemotherapie gezeichnete, kahlköpfige Gaus – – – und keine Schmeichelei war zu dick aufgetragen, als daß er sie nicht gerne, fast gierig annahm. «Du hast wohl recht», sagte er in aller Bescheidenheit, als ich meine kleine Rede damit begann, daß er der beste Leitartikler der Republik sei. Nun ist das sogar (fast) wahr, auch weil es keine guten Leitartikler mehr gibt, aber AUCH, weil er wenigstens ein eigenes, störrisches Konzept hat mit seinem Ost-Donner, seiner Wut auf Westdeutschland und die falschgelaufene Einigung. Wut führt die Feder meist gut. Aber das SO selber zu bestätigen – nun ja.
Meine kleine Nicht-Rede war wenigstens kurz, eine vergleichbar witzige Paraphrase auf das Wort «eitel» (eben auch = vergebens) und den seltsamen Gebrauch als Eigennamen. «Eitel Friedrich» heißt ja wohl «nur der», «es gibt nur diesen einzigen Friedrich» – – – also «Eitel Günter»; GANZ ohne Spitze war das nicht … jedenfalls war das folgende strohtrockene «Plädoyer» eines Hamburger Anwalts lang und dürr.
Der Abend ansonsten lieb und belanglos (bei gutem Wein und Champagner) bis auf mein kleines rencontre mit Christa Wolf, die ganz «hohe Frau» spielte, mir meine Frage nach der «sonderbaren Entfernung» zwischen uns beantwortete mit: «Lesen Sie mal Ihre eigenen Artikel!», worauf ich spitz wurde und sagte in alter Peter-Huchel-Tradition: «Das ‹eigene› würde ich aus dem Satz streichen», und hinzufügte: «Seltsam, daß Sie aber frère und cochon mit dem Herrn Schirrmacher sind, der ja nicht nur wie ich eine
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