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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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antimilitaristische (antisemitische, kommunistische) Musik? Erinnere mich an den DDR-Witz über die marxistische Blinddarm-Operation.
    Ist Musik nicht Form per se? Kann eine Idee/Ideen nur begleiten, eventuell interpretieren – aber nicht sein? Mir scheint, sie braucht jeweils das «Halteseil» von Sprache und Inscenierung – – – und genau daran scheitert es: Denn was bleibt, ist eben Oper; mal «gut gemeint», mal, meinetwegen, karikaturistisch, mal höhnisch-frivol, kennt man alles von Mozart bis …, aber in dem Moment, in dem ver-opert wird, in dem ein Regisseur irgendeine Lichtmaschine einsetzt, irgendeinen Sänger dahinsinken, sich umdrehen, eine Marschkolonne sich bewegen läßt: ist es eben SPIEL. Die Gewißheit, wenn die Schminke abgewaschen ist, erhebt sich die Leiche und raucht eine in der Garderobe, nimmt der Sache das Bohrende. Nicht aufzulösendes ästhetisch-moralisch-politisches Urproblem. ICH kann’s nicht lösen.
    Arabella Sheraton Grand Hotel, Frankfurt, den 14. Oktober
    Die (hoffentlich: meine letzte) Buchmesse tanzt nach dem Motto: «Wer war die alte Dame, mit der ich Sie gestern fotografiert habe?» Die alte Dame war Inge Feltrinelli; auch wer ich bin, wußte der Fotograf nicht – Hauptsache knipsen, egal, egal.
    So hat der Messe-Virus (der nicht nur die Messe befällt) einen Doppel-Namen: Sekundär und Personalisierung. Will sagen: Niemand mehr hat das Buch gelesen, von dem und über das gerade geplappert wird; in einem TV-Interview wurde der sympathisch-schüchterne Peter Stamm über die Dunkelheit in Lappland, die Swiss-Air und warum er in London lebe, befragt; mit nicht einem Satz nach der Prosa-Struktur seines neuen Buches.
    Ich werde vornehmlich befragt, was das J. in meinem Namen bedeute und ob ich ein Dandy sei, und wenn ja, was der Angeklagte dazu zu sagen habe. Vorgestellt – auch bei der Lesereise, über deren klägliche Strapazen ich hier nicht ein abermaliges Mal jeremiaden will – werde ich neuerdings: «Anläßlich Ihres Geburtstags stand ja über Sie zu lesen …» Nie, nicht ein einziges Mal, habe ich in diesen Tagen und Wochen gehört: «Meine Damen und Herren, ich stelle Ihnen FJR vor, dessen jüngstes Buch X ich deswegen mit großem Vergnügen gelesen habe, weil …»
    Wie das Negativ eines Portrait-Fotos sieht sich dann an, wie Menschen ihre persönlichen Probleme vor sich hertragen. Der Herr Unseld junior, den ich zwar seit Jahren, aber doch nur flüchtig kenne, bricht am Lachs-Brötchen-Empfangstisch 1 Sekunde nach dem «Guten Abend, Herr Raddatz» in eine 40minütige Tirade gegen den Herrn Unseld senior aus, den Papa, der seine Enkelkinder noch nie je und seine – übrigens aparte – Schwiegertochter nur 3 x im Leben gesehen habe; selbst mein «Das war schon 2 x zuviel» konnte den Sohn nicht stoppen, mir voll Zorn und heftig gestikulierend den Vater schwarzzumalen – der mich aber überhaupt nicht interessiert.
    Sowenig mich interessiert, daß der Herr Wagenbach mit seiner Tochter entzweit, den offenbar tüchtigen Schwiegersohn lieber den erfolgreichen Diogenes-Verlag leiten läßt, als dem (weil ja lieb Töchterlein dranhängt) das eigene Haus anzuvertrauen. Wagenbach als umgekehrter Lear – ganz lustige Vorstellung, in deren Loge ich dennoch nicht sitzen möchte.
    So sehne ich mich in/aus diesem Schleiertanz der alten Lemuren an den einsamen Strand von Kampen; bin ich dort, werde ich nervös, fühle mich alt, einsam, abgeschafft und ausgeschaltet.
    DIE ZEIT Hauspost
Betrifft: 31. Dezember 2001

    Lieber Herr Naumann,
    verzeihen Sie eine – hoffentlich: letzte – Belästigung, wobei ich (der Verliese des Vatikans ungewiß) nicht einmal weiß, ob ich SIE mit derlei behelligen soll; indes wäre es sehr freundlich, wenn Sie’s andernfalls an die richtige Instanz im Hause weiterleiten:
    Ich scheide also, wie der Vertrag es vorsieht, zum 31. XII. 01 aus der ZEIT aus. Da ich in nächster Zeit viel auf Reisen sein werde, liegt mir – braver Zinnsoldat – daran, daß alles correctissime und pünktlich erledigt wird. Als da ist:
    Mein Büro wird bis zum Ende des Jahres geräumt sein.
    Die Buchhaltung müßte informiert werden, daß mit dem Ende des Jahres 2001 meine Bezüge nicht mehr bezahlt werden.
    Bitte achten Sie darauf (respektive lassen Sie darauf achten), daß mein Name ab dem 1. I. 02 nicht mehr im Impressum gedruckt wird.
    DIE ZEIT hat für mich diverse Zeitungen/Zeitschriften abonniert – es müßte wohl rechtzeitig dafür gesorgt werden, daß

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