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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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(in Wahrheit «las» er darin nur das Kreuzworträtsel), sagt seit 2 Wochen knapp «Guten Tag» und kam heute im Ton eines Feldwebels: «Was ich Sie noch fragen wollte – kennen Sie die Geschichte vom Alten Fritz und dem Schrankenwärter»? – «Nein.» – Dann ging ich sogar nach, weil ich merkte, es war was Beleidigendes, und fragte: «Ihre Frage ist noch ohne Pointe – wie geht denn nun die Geschichte?», worauf er mit «verächtlichem Blick» ins Wasser stieg.
    17. Dezember
    «Der Obengenannte ist heute am Leben gewesen» steht auf/über einer Wohnsitzbescheinigung (die ich mir vom Einwohnermeldeamt holen mußte). Schöner Sinnspruch fürs Jahresende.
    Heute aus der Kirche ausgetreten. (In der gleichen Behörde, aber beim Standesamt.) Wird behandelt wie Strümpfekaufen – vollkommen emotionslos, inhaltslos – Papier, Stempel, zack, zack. Ich stand vor dieser Büroschranke mit pochendem Herzen, kam mir ein wenig wie ein Verräter vor – dort nix. Ein Vorgang wie die polizeiliche Abmeldung. Bin mir auch sehr unsicher: Ich bin ja kein religiöser Mensch, habe eher meine Privat-Moral – – – – wozu also in der Kirche bleiben. Aber Jochen Mund gegenüber finde ich’s irgendwie nicht in Ordnung – und auch generell. In gewisser Weise ist Kirche für mich eben doch eine moralische Instanz, eine Institution – und der nehme ich nun mein Scherflein weg. Letzter Auslöser – banal und schlimm eigentlich – war die Nachricht gestern, daß die ZEIT mich nicht informiert hat über den neuen Betrag und ich «Umsatzsteuer» auf die gesamten Bezüge zahlen muß – ein Wort, das ich noch nie gehört hatte. Es kommen also doch finanzielle Probleme. Vorgestern abend noch Jahresende-Glas-Wein-Besuch bei Grass, der müde aus Heilbronn kam, nur Milch trank, aber sehr guter Dinge scheint. Sie haben sich ein wunderschönes Haus, eine Art kleines Herrenhaus in Schleswig-Holstein gekauft in einem riesigen Wald mit Bächen und Teichen und einem kleinen See in 10 Minuten Entfernung, ein wahrer Traum. Freute mich sehr, vor allem für Ute, der ich das ungeheuer gönne. Hinterher nur schoß mir so durch den Kopf, wie ungleichzeitig Leben doch ist; die haben also, während ich sozusagen um meine Ehre und berufliche Existenz rang, vergnügte Hausbesuche mit Maklern unternommen und für ½ Million ein kleines Schloß gekauft; ich konnte zugleich nicht schlafen und nicht wachen und vor Herzschmerzen nicht aufrecht sitzen. Das ist kein Vorwurf, sondern die Beschreibung einer Piscator-Inscenierung: Gleichzeitigkeit des Verschiedenen.
    19. Dezember
    Fichte, am Telefon, nur Gift und Galle: «So, also bekommen Sie wieder Geld – na, ICH will ja so was nicht!» sagt der Mann, der gleichzeitig sich wütet, daß weder Wunderlich noch Gabriele Henkel (wie kämen sie dazu) ihm ein Monatsgehalt aussetzen noch Herr Reemtsma. Statt sich mit mir zu freuen, daß ich für 3 Jahre Ruhe habe – nur Neid. «Erklären Sie nun bloß nicht, Sie hätten so viel für Autoren getan – es ging Ihnen doch um Ihr Wohlleben. Ich jedenfalls wurde unter Dieter E. Zimmer 10- und unter Ihnen 4mal gedruckt – ich habe Sie nicht gebraucht.»
    Schärfer geht’s nicht. Zimmer war 1 ½ Jahre Feuilletonchef – – – und hätte Fichte also fast einmal pro Monat drucken müssen. DAS lasse ich jetzt mal herausfinden – und schicke ihm diese Statistik. Nur: Warum muß er IMMER kränken?
    Wunderlich in seinem herrlichen Suff sagte, nein: deutete das ERSTE MAL an, was er sonst zu kontrolliert ist, auszusprechen: «Es ging und geht in Ihrem Fall natürlich noch um ganz andere Dinge.»
    Er meinte: schwul. Als ich von Henrichs’ schönem Satz aus jener denkwürdigen ZK-Sitzung erzählte: «Hier ist eine Atmosphäre wie Bürgerwehr jagt Sittenstrolch», sagte Paul: «Genau, das ist es.»

1986
    1. Januar
    Was mache ich falsch? Da waltet doch wahrnehmbar ein tückisches Gesetz in meinem Leben? Es kann ja nicht nur die Schuld der anderen sein – irgendwas muß auch an mir liegen. Aber was bloß? Ich würde ja versuchen, es zu ändern – aber ich weiß einfach nicht, was es ist. Zu «intensiv» – Manfred Sack, einer «meiner» Redakteure, ein anständiger und sympathischer und auf seinem Gebiet kenntnisreicher Mann, schrieb mir heute einen nachdenklich machenden Brief – einen Abschiedsbrief, der gut gemeint war, der aber auch mich «charakterisierte»: «… selbst wenn das Kapriziöse, Witzigkeitsbeflissene, Pointeneitle miteinander manchmal schwer zu ertragen

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