Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Verlag gemietet hat, so daß sich sogar der President von Harpers, der mich mit seinem Riesenauto zu einer Party mitnahm, mokierte.
23. Januar
«Ich studiere mich mehr als alles andere. Das ist meine Metaphysik und meine Physik … Jeder blickt vor sich hin, ich blicke in mich hinein: Ich habe es mit nichts zu tun, außer mit mir, ich betrachte mich ohne Unterlaß, ich prüfe mich, ich versuche mich –»
Eintragung von Montaigne. Könnte Motto meines Tagebuchs sein, gar meines Lebens. Und ist natürlich Motto eines jeden Schriftstellers, jedes Künstlers. Das kreidet man mir – wieso aber dann nicht den anderen auch – als unerträgliche Eitelkeit an, muß das nicht jeder sein, der was «macht» – und ist deswegen so verdächtig, so verletzend für andere, die nichts machen?
Es bleibt die Frage – die ich gestern in meinem Fernsehdisput mit Grass zu erörtern suchte –, ob nicht das zu starke Einlassen des «Tages» dem Kunstwerk schadet, das Sich-Öffnen für Politik etc. ein Unberührbares berührt und damit den Kraftkern (zer)stört. Bei seinem neuen Buch scheint mir das deutlich in den Passagen, die über tote Wälder etc. reflektieren – – – das kann Journalismus auch. Da scheint mir Benns Dictum, daß Prosa – im Gegensatz zum Gedicht – leicht sich ans Journalistische verrät, ganz richtig.
Kampen, den 26. Januar
Gestern ein traumschöner Tag, der in der Alp-Traumschwärze endete: morgens strahlender sonniger Wintertag, herrliches Schwimmen mit Dunstschwaden unter der Sonne, gemütliches Frühstück, spazieren mit Gerd, Bibliothek aufräumen, Fahrt durch die Heide zur Wunderlich-Vernissage in Uelzen, die unglaublich voll. Begrüßt mit Applaus und dann seltsam: In Wahrheit hatte ich für meine Einleitungsrede den Text aus jenem großen Wunderlich-Band genommen, den ich vor Jahren über ihn und seine Arbeit geschrieben habe, den er damals so gut fand; ich war, als ich ihm seinerzeit das Manuskript gab, etwas besorgt, ob ich ihm «zu nahe» getreten sei, und meine Sorge wuchs, als ich zwei Tage kein Echo hörte. Dann kam er per Taxi («Bitte kommen Sie an die Tür, ich fahre gleich weiter»), drückte mir eine Plastik-Tüte in die Hand und brauste ab: Darin war das bronce-doré – «Fischbesteck». Das ist zwar viele Jahre her – aber daß er garnicht merkte, daß ich diesen alten Text, knapp variiert, vortrug, Karin auch nicht und Gerd auch nicht, dem ich immerhin das Buch mal geschenkt habe, war zwar «taktisch» erleichternd, eigentlich aber unheimlich: Entweder sie lesen das alles wirklich alle nicht, oder sie merken sich’s nicht von hier bis zur Wand. Paul und Karin waren begeistert von der Rede, er sagte sogar: «Den Text hätte ich gern» – woraufhin ich schnell sagte, es seien nur Notizen gewesen … Gerd erzählte, daß die Leute im Publikum, mehrere, gesagt hätten: «Das kann eben keiner wie der.»
1. Februar
Fand ein Venedig-Buch mit einem kleinen Zettel von Bernd darin, beides wohl zu Weihnachten 1973 (!!!) – und nur die krakelige Schrift, nur das liebevolle «Dein Rübezahl», nur die Erinnerung an eine riesige gelbe Rose vor einem Palazzo in Venedig, den er mir so stolz gezeigt hatte – – – traf mich wie eine Faust in den Magen. Es war meine GROSSE Liebe. Und ich bin nie mit diesem Tod fertig geworden.
Rottach, Donnerstag
Donnerstag einen ganzen Tag bei Mary Tucholsky. Scheußliche Begegnung. Einerseits, weil dies Schrumpelweibchen nicht die stolze, große, kräftige Mary ist, die ich Jahrzehnte kannte. Auch da haucht einen der Tod an – und die Sinnlosigkeit des Alters, selbst mit Geld. Man kratzt und schafft «fürs Alter» – und dann sitzt man da und sabbert einen Kamillentee oder einen Haferschleim.
Zum anderen aber auch, weil das, was mal ihr Stolz war, jetzt nur noch Kälte und Härte ist, sie nichts begreift oder begreifen will, was mit der Stiftung zusammenhängt – ich wurde direkt laut und ausfallend, was mir sofort hinterher schrecklich leid tat, noch dazu, als sie sagte: «Sie sprechen mit einer 88jährigen.»
Aber wenn ich so vergeizten Unsinn hören muß wie: «Ich hatte auch nie ein Gehalt», weil sie an meinen Bezügen (die ich erstmals seit 15 Jahren fordere) oder denen der Stützner herumfeilscht, gleichzeitig das Haus verschenkend, in dem sie «ohne Gehalt», aber mit Köchin, Haushälterin und zwei Sekretärinnen lebte, nicht üppig zwar, aber doch sehr angenehm, per Taxi nach München und zurück – – – dann platze ich eben.
7.
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