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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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«Und Siegfried Lenz lebt», wie der bösartige und betrunkene Platschek sagte.
    Habe mir eine Art Seeleneis aufgepackt, um das durchzustehen, zumal ich noch den Nachruf schreiben sollte und wollte (eben fertig – ich glaube: schlecht).
    Mit 50 Jahren, mein Gott, voller Pläne, Energie, Ruhmsucht, Eitelkeit, Verrücktheit – doch im ganzen ein wunderbarer Mensch, ein bunter Nicht-Kleinbürger, anders als jener grausliche Frankfurter Kritiker, dem immer nur «Mumpitz» zu Fichtes Arbeit einfiel.
    Ach, lieber Fichte – wir waren schon ein seltsames Paar, merkwürdige Freunde, oft auch voller Gift und Haß auf den anderen – aber er wird mir sehr fehlen mit all seiner ballettösen Manie und Maniriertheit.
    12. März
    Komme frühmorgens aus Frankfurt, habe mich breitschlagen lassen zu einer 1stündigen TV-Gedenksendung für Fichte im HR – bekam es nicht fertig, Nein zu sagen, obwohl eine Parforce-Tour: abends spät hin, ohne Essen vor die Kamera, Sendung bis nach Mitternacht, 1 Uhr im Hotel, 7 Uhr morgens Lufthansa ab Frankfurt; Sendung, glaube ich, eher flach – ich noch im Fieber, aber auch, was wichtiger und merkwürdiger ist, nicht im Lot mit diesem Tod. Ich krieg ihn nicht «runter», es ergreift mich aber auch keine wirklich schüttelnde Traurigkeit – etwas seltsam Blasses, Künstliches breitet sich in mir selbst vis-à-vis diesem Tod aus (wobei ich auch leicht irritiert registriere, daß Frau Mau sich ihrerseits nicht meldet; wenn ich sie nicht anriefe, hörte ich nichts, und auf meine vorsichtige Frage nach der Beerdigung betonte sie SO sehr: «nur im ganz kleinen Kreis», daß ich zu hören meinte: ohne Sie). Noch eine Schwierigkeit: Er hat mich ja mal als Erben respektive Nachlaßverwalter eingesetzt. Was ich Gott behüte nicht sein will – dennoch leichte Verwunderung, wenn Platschek mir jetzt erzählt, Gisela Lindemann sei als das «eingesetzt». Wer nun? Nur bin ich in diesem Fall froh, eine solche Bürde nicht noch mal übernehmen zu müssen. Aber warum hat er das nie ehrlich besprochen?
    Den Abend zuvor Abendessen mit Ledig, leider mit seiner Frau zusammen, die doch nur plappert im Tone von «Oh, he was such a beautiful man»: Damit war für sie alles über Fichte gesagt. Er, wie immer, bog vor dem Thema Tod sofort in eine Anekdote aus – der Alte ging ja nicht mal zu Beerdigungen. Auch dieser Abend leicht gespenstisch, weil eine leicht bramarbasierende «Solidarität» mit mir und meiner Entlassung – als habe er sich nicht vor langem einmal genauso benommen. Alles, was ich zu und über Bucerius sagen wollte, schluckte ich runter – ich hätte ja auch den Namen Ledig einsetzen können. Als habe er das vergessen?
    20. März
    Die Nachtfalter in Hamburg sind nun alle engste Freunde von Fichte gewesen, auch absurd. Leute, deren Namen man nicht kennt, widmen Leonore Mau Manuskripte, die sie in der ZEIT veröffentlichen wollen – nur hat Leonore Mau knapp einmal den Namen gehört; nicht direkt ein Grund für Widmungen. Gestern jemanden «gesprochen», der angeblich Fichte sogar mehrmals im Krankenhaus besucht hat??? Dieser Schatten wird noch viel länger werden, er stilisiert sich sozusagen sogar als Toter: Schon spricht Hans Mayer von den 4 einzigen deutschen Nachkriegsschriftstellern von Rang: Arno Schmidt, Uwe Johnson, Günter Grass und Hubert Fichte.
    Vor paar Tagen mit Kuenheim und dem neuen Robert Leicht essen: der Nachruf, der Nachruf, hallte es. Leicht ist nett, eitel, sympathisch und sehr sicher, auf der Siegerbahn des Lebens zu sein. War ich das in seinem Alter eventuell auch?
    Ein «Spiel» war interessant: Auf meine Frage «Was wünschten Sie sich, wenn die berühmte Fee auf Ihrem Knie säße und Sie hätten 3 Wünsche frei (mal die 2 von wegen Geld und die tolle Blonde beiseite gelassen)?» Kuenheim: «Macht.» Er wäre am liebsten entweder Gorbatschows Berater für die Landwirtschaft oder Papst –!!! Fast nicht zu glauben – als Lebensinhalt keinen Inhalt. Ein Manager für Getreide oder für Weihrauch. Was für Lebensziele. Leicht wollte Präsident oder Reichskanzler werden à la Stresemann – also auch Machtverwalter. Drinnen nix. Über meinen «Wunsch», ich würde Thomas Mann oder Brecht oder Beckett sein/geworden sein wollen, herrschte geradezu peinliche Verwunderung.
    Sonderbar, was Leicht über Joachim Kaiser erzählte – – – daß der nicht nur, wie ich freundschaftlich-ironisch sagte, etwas konservativ geworden sei, sondern er sei aggressiv reaktionär, würde nicht

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