Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
während er in Wahrheit mit seiner Frau nach der Geburt der Tochter NIE mehr geschlafen hat.
Wie seltsam: Unter jedes Menschen Leben liegt immer ein anderes noch verborgen. Hier gilt nun Estelle Faulkner als Frau und Witwe – und seine große, vielleicht einzige Liebe war jene Meta in Hollywood.
Auch der Gedanke an den Tod springt mich förmlich an bei dieser Lektüre. Faulkner wurde ja nicht sehr alt – ich muß wirklich auch mein Haus bestellen.
1. Mai
«Tag der Arbeiterklasse» – was habe ich das gehaßt in Ostberlin, wo ich nach den Demonstrationen wie zur «Waschung» an den Ku-Damm lief, in jenes Kempinski Eis essen (das war schon das Höchste), wo ich nun stets wohne und wo man mich beflissen mit «Guten Tag, Herr Professor» begrüßt.
Seltsame Lebenskurve. Von Sylt also nach Paris katapultiert.
Abends zurück – Reaktorkatastrophe in der Sowjetunion weckt verquere Reaktion: Ich setze mich mit Zigarre und Rotwein vor den Fernseher, um «gemütlich» zu betrachten, ob der Tod in einer Wolke auf einen zuschwebt. Erwische mich (unbewußt?), das beste Meißen zu decken, eine Kerze anzumachen, Blumen zurechtzurücken, die Bild-Lampe überm Schad, der überm Fernseher hängt, anzuknipsen; die Lust am Ende? Ist man innerlich so präpariert auf Katastrophe, auf Untergang, daß man ihn mit einem Gran Erleichterung geradezu feiert, so: «Na endlich ist’s vorbei.»
Was für eine innere Müdigkeit muß da in einem wohnen – ganz im Gegensatz zu den Hagenströms, die hier mehr und mehr in der Nachbarschaft einziehen und kraftstrotzend alles «benutzen» wie Kinder, die alles in den Mund stecken – friert der Kanal zu, schon haben sie Schlittschuhe an den Füßen, und kommt der erste Sonnenstrahl, schon ist der Gartengrill in Betrieb, und die Rumtatata-Musik grölt, und die Boote werden gestrichen. Ekelhafte Lebensenergie.
2. Mai
Gestern abend Wunderlich hier – und prompt wurde es ein wunderschöner Abend. Ein Abend auch von «innerer Schönheit», mit ernsten Gesprächen von Kunst bis zum Tod und zum Sterben, wobei Gerd erstmals aus der Freimaurer-Loge erzählte, wo man z. B. ein vorgezogenes Sterberitual durchmacht. Nun sind Rituale ja Ersatzhandlungen, und das wiederum war natürlich Pauls Thema, denn wer, wenn nicht er, weiß von der Funktion der Rituale.
Mapotel Terrasse, Paris, den 21. Mai
Zurück aus Paris (darüber Extra-Tagebuch …) und vom Rhein, wo ich «Nuttentour» – deutsch-französisches Colloquium – mit paar Tagen Bummelei gemischt habe, die Gerd wieder sehr schön vorbereitet hatte, so daß wir an der schönsten Ecke waren, ein niedliches Hotel hatten, wunderbare Restaurants zum Abendessen, herumspazieren im offenen Wagen in Burgund-ähnlich-schöner Landschaft, die ich, wie auch die Orte (Eltville oder Oestrich-Winkel), nicht kannte, deutsches Herzland; so aßen wir im «ältesten Steinhaus Deutschlands». Mehr nicht davon.
Eine geradezu panische Schönheits-Sucht. Je älter, faltiger, weißhaariger und häßlicher ich werde, desto unstillbarer das Verlangen nach schönen Blumen um mich, schönen Möbeln, Objekten, Bildern – eine riesige Ersatzhandlung. Während ich selber, Dorian-Gray-haft, immer «künstlicher werde» – morgens brauche ich inzwischen eine volle Stunde, wenn nicht mehr, mit allen Magentees, Salben, Augentropfen, Hauttinkturen, Fußpilzgels etc. –, wird die Inscenierung um mich herum immer stärker.
Gleichzeitig nicht in der Lage, Müßiggang zu ertragen. Muß mich direkt zusammennehmen, weil ich die Tage am Rhein lieber gearbeitet hätte, als herumzubummeln. Was geht mich noch ’ne Kirche mehr an oder in Paris ein Kinomuseum oder ein hübsches altes Dorf. Ich freue mich mehr auf die Arbeit am Roman im Herbst als auf die ganze Mississippireise.
25. Mai
Bin ganz froh, in mir «aufgeräumt» zu haben, was das Geld betrifft; habe immerhin festgestellt, daß ich noch nicht korrupt bin, daß ich ein Angebot, beim STERN zu arbeiten (wofür’s ein Vermögen gäbe), nicht annähme und auch die offiziöse Frage, ob ich – nach Schlotterers plötzlichem Tod (komische Phrase – Tod ist doch immer «plötzlich»?) – den Hanser Verlag leiten möchte, für mich sofort negativ beschied. Ich will mich in meiner neuen Situation des «Nur-noch-Schriftstellers» wirklich einrichten. Muß nur aufpassen, mich nicht zu verzetteln und nicht ewig zuviel zu tun. Dieses Wochenende z. B. zwischen Faulkner, Leo-Löwenthal-Vorbereitung für die morgige Fernsehaufzeichnung
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