Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
mit Darmkrebs, Schmerzen, Operationen, Todesangst. Ein (Abschieds-?)Telefonat à la Fichte: «Du musst wissen, daß du für mich immer der wichtigste Mensch in meinem Leben warst. Danke für deine Freundschaft.» So leise der Satz, so gellend.
11. April
Fichtes Beerdigung (Urnenbeisetzung) war gespenstisch. Glücklicherweise hatte ich Platschek im Wagen mitgenommen, sein Zynismus (vorm Grab: «Darf man hier rauchen?» oder über den Zeremonienmeister: «Der hat ja ’n Toupé») war sehr hilfreich. «Tote sind so wehrlos», sagte er angesichts der merkwürdig-kläglichen Schar: paar drittklassige Autoren (die selbst ich knapp dem Namen nach kannte), Leonore Mau (sehr gealtert), kein Senator, vom S. Fischer Verlag kein Kranz und der Lektor Beckermann auf eigne Kosten, die Lindemann als Witwe Nummer 2, kein Vertreter auch nur einer Zeitung, nur der noble Gneuss hatte 1 Kranz geschickt. Ich mit meiner herrlichen riesigen weißen Orchidee fast deplaciert. Auch nichts von seiner «eigentlichen» Welt, halb verborgen und von niemandem «wahrgenommen» ein Bahnhofsstricher mit einer gelben Tulpe, alles ganz kleinbürgerlich im kleinen Schwarzen.
Und im Flur der Wohnung (!!!, in die taktloserweise zum üblichen Umtrunk eingeladen wurde) hängt doch allen Ernstes der berühmte Pelzmantel, mit dem er, wie eine riesige Pelz-Litfaß-Säule, Nacht für Nacht vor der Hauptbahnhofstoilette auf seine «Opfer» lauerte. Frauen können so was anscheinend – aber dieser Mantel, das war doch ER, das darf doch dort nicht mehr hängen, als sei er eben mal ein Weinglas holen. So wurde man auch ins Arbeitszimmer gebeten (gespenstischerweise auf dem Schreibtisch ein Manuskript von ihm – mit Korrekturen von mir in meiner Handschrift). Alles zu nah an ihn herangelassen, seine Karteikarten, seine Manuskripte, seine Spielsachen auf dem Schreibtisch, es war peinlich-intim, als habe man einem Schlafenden das Deckbett weggezogen (was ja schon in der Bibel verboten ist). Der Auftritt der Mutter, am Stock, wie ein «Alter Fritz», wortlos und mit dem Blick einer fauchenden Katze vor der Mau, sie mit Hypnoseblick anstarrend, dann verschwindend: eine Scene von Fichte. Und diese furchtbare Kunstgewerbe-Urne. Das bleibt??
Jochen stirbt (was es für furchtbare Pointen gibt; an derselben Krankheit, an der Fichte starb: Darm- und Lymphkrebs) …
War gestern in München, ihn im Spital besuchen. Ein kleiner, magerer, verschreckter Mann, der nach Tod aussieht und riecht, der weint, wenn man das Zimmer betritt, und die schöne Blume kaum sieht … was sind auch Dinge (und Blumen sind ja auch Dinge), wenn der Knöchel an die Tür klopft. Er hat auch innerlich abgeschlossen, sich verabschiedet, abgedankt, will nicht mehr und kann wohl auch nicht mehr. Was für ein Stück Leben geht da dahin … wo ist der strahlende, verführerische, erotischen Charme und geistvolle Betörung ausstrahlende Mensch geblieben? Und wie schafft man es nur, vorher abzuhauen? Und die Frau, die er betrogen und hintergangen hat ein Leben lang, die er um ihr Lebensglück brachte und die ihn innerlich nicht «betraf» – – – die sitzt nun Tag und Nacht neben ihm, pflegt ihn noch im Krankenhaus, massiert ihn, wenn er kein Wasser lassen kann, und bringt ihm Essen. Leben ist voller Ekel.
18. April
Nachtrag einer fliehenden Woche: Letzten Samstag großer Cocktail bei/von Senfft (stellte sich als Hochzeitsfeier heraus), wo «tout Hambourg» war, u. a. der schon betrunken ankommende Augstein – – – ein immer grauslicher werdender Zwerg, dessen Buckel auch sichtbarer wird, klein, verwachsen, giftig, eklig. Das war ja mal ein ganz witziger und politisch frecher Journalist, jetzt ist er nur noch ein busengrapschender Millionär, sprachlich war er immer uninteressant, kein Stilist, Schriftsteller schon garnicht.
Es war ein Riesenaufgebot kaputter Typen, Frauen, die ihre Männer hassen, ein Ehepaar, wo er mit mir und sie mit Gerd ins Bett wollte, oder alle zusammen (die Kneipe absurderweise DIE, in der ich Gerd kennenlernte – – – warum gehen Ehepaare in schwule Kneipen?).
Vorgestern «Antrittsvorlesung» in Paris. Die Unileute sehr nett, machen aber einen unseriösen Eindruck, der Direktor namens Heller lud mich bereits nach 2 Minuten ein, diese Professur doch «auf Dauer» zu machen und jedes Jahr zu kommen. Nun war der Vortrag auch sehr gut ausgearbeitet. Das Ganze aber zu anstrengend: morgens früh um 6 raus, 8 Uhr ab Hamburg, in Paris den ganzen Tag auf den Beinen,
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