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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Entdecker-Förderer gefunden. Obiges Thema. Hochmut-Tiefmut; reimt sich schön auf Hochhuth …).
    5. Oktober
    Der Tag endete in einer Monolog«arie», einer Art Rausch in Einsamkeit. Zuerst die Wilson-Heiner-Müller-Premiere von HAMLETMASCHINE, ein einziges todessüchtiges Gedicht mit einer Stimme, eine der ersten Zeilen etwa: Hätte ich mich doch unmöglich gemacht – das Leit-(Leid?-)Motiv nach Brecht: «O wärt ihr doch im Schoß eurer Mütter geblieben.» Das Ganze angerichtet in Wilsons verlangsamter Schönheit, ein gelungener Theater-Abend. Vorher Wilson im Hotelzimmer munter, witzig, selbstironisch. Seltsames «Genie», in der Arbeit ein Zauberer, privat «a nice guy». Erzählte, daß erst auf intensives Befragen – «How do you like it?» – mehrere Mitarbeiter gesagt hätten: «In fact – it’s a bit slow», und seine eigne Schwester, die er selten sähe, a midwest-housewife , die keine Ahnung von seiner Arbeit hat, habe nach einer Einladung zur New Yorker Aufführung desselben Stücks ebenfalls anfänglich gesagt: «I liked it a lot» and «great» and «it’s fun», bis er gebohrt habe, was sie denn von ihm darin entdeckt habe und ob sie sich vorstellen könne, dies sei auch die Arbeit eines anderen – da habe sie gesagt: «Oh no – it’s typical of you, it’s so slow – you were always so slow as a child.»
    Was man von der Mondänen nicht sagen kann. Das ewige Rätsel: Ihr Leben ist ein Maserati, nur ohne Lederpolster. Sie kommt hier nachmittags angerast, stürzt in die Küche (weil ich das schon kenne, hatte ich vorher aufgeräumt), reißt sämtliche Schübe auf, schreit: «Ich sterbe vor Hunger», macht alle Töpfe auf, schreit: «Lecker, lecker», nimmt einen Löffel eiskaltes Gulasch, einen anderen Löffel kalte Gemüsesuppe, steht in der Küche vor (Neu-)Gier, statt sich gemütlich zu setzen, versteht offenbar nicht, daß der Tee nicht aus der Leitung kommt, sondern erst gemacht werden muß; bis der Tee kommt, hat sie ein Schinkenbrot trocken verschlungen bzw. überall angebissen und liegen lassen. Dann ist der Tee kalt, wird runtergestürzt, sie schreit: «Ich habe Magenschmerzen» und rast davon.
    Nach der Wilson-Vorstellung, wieder statt gemütlich hier zu sitzen, die extra für sie gekochte Suppe zu essen, ein Glas Wein, die sanfte Nachspeise – gehen wir in ein grausliches «Bräustübl», nur, es könnte ja Bob Wilson oder Heiner Müller noch nachkommen (kommen natürlich nicht), dort schlürft sie an einer ungenießbaren Knödelsuppe, bestellt sich zwei Salzkartoffeln, ich Sauerkraut mit Würstchen und Bier – sie schlingt von meinem Sauerkraut, schreit: «Ich habe solche Magenschmerzen», trinkt mein Bier, meinen Vodka – – – das war’s.
    Vor Gier nach Genuß kommt sie nicht zum Genießen, die Millionärin, die verhungert und im Atlantic-Stübchen zwei Salzkartoffeln ißt.
    Ich habe bewußt den Abend «gekrönt», wußte, daß Ledertreffen in Hamburg ist, und bin noch nachts in die scheußliche Kellerbar gegangen, in der ich Gott sei Dank seit Jahren nicht mehr war und schon, als ich dort noch «verkehrte», das Ganze entsetzlich (aber nicht ohne Reiz …) fand. Das war nun die endgültige Einsamkeits-Orgie, und die wollte ich, eine Krönung der Wilson-Inscenierung, ja auch sehen: Höhepunkt ein Junge, der mit Walkman im Ohr (Vivaldi???) vor einem anderen kniend dem einen bläst – der steht in vollem Motorraddress an die Wand gelehnt, MIT MOTORRADHELM AUF und langen Handschuhen, raucht dabei und sieht nicht mal «runter». Bühnenreif.
    14. Oktober
    Der seltsame «Erfolg» von KUHAUGE in Paris, wo alle Zeitungen Kopf stehen, Interviews schon mehrere hier in Hamburg, nächste Woche mit Le Monde und Le Matin in Paris, wo mich Pivot in seine wichtige Fernsehsendung APOSTROPHE eingeladen hat – was meinen «Betreuer» Lortholary wie meinen Verlag in helle Aufregung versetzt (als sei es der Goncourt).
    Berlin, vergangene Woche, war ohnehin merkwürdig genug. Das Gespräch – für meine Fernsehserie DIALOG – mit Alfred Grosser zu glatt-routiniert. Das Gespräch blieb unterhalb des von mir erwarteten Temperamentniveaus. Nächsten Tag dasselbe mit der Noelle-Neumann, deren schlimme Nazischriften ich in Kampen gelesen hatte. Aber auch sie bog aus, keiner von «denen» ist imstande, auch nur das kleinste «Ich schäme mich» zu sagen, sie waren immer alle dagegen, haben «nur ein bißchen Wortgesäusel mitgemacht, um Schlimmeres zu verhüten». Mir fällt es immer sehr

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