Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
Vom Netzwerk:
Tanz-ähnlicher Bewegung, an Pina-Bausch-Choreographie erinnernd, die ein langes, zum Schlauch (= Phallus?) gerolltes Netz aufwickelten. Sehr erotisches, faszinierendes Bild. Ist meine Erotik nur noch bild-haft?
    Die Lektüre dieser Tage erregend – Thomas-Mann-Tagebücher 1944 – 46. Vor allem die allererste Nachkriegszeit, die Verknüpfung nahezu aller Intellektueller (der anderen ohnehin) mit dem NS-System, der Typen Walter von Molo, die sich leidgeprüfte innere Emigranten nannten und von dem man dann bei Rosenberg die signiert-gewidmeten Ergebenheits-Exemplare der eigenen Bücher fand: Ich wußte garnicht, wie recht ich hatte mit jenem «skandalösen» Aufsatz «Sie werden weiter dichten …», der ja in Wahrheit der Beginn vom ZEIT-Ende war, eingeleitet durch die Attacke von Walter Jens.
    Kampen, den 31. Dezember
    «Jahresabschluß». So nennen Buchhalter das ja wohl. Was für ein schlimmes Jahr endet da: Es begann mit dem ZEITende, hinausgeworfen wie ein Hund, der ins Zimmer gepinkelt hat, ohne Erbarmen und ohne ein Zeichen der Menschlichkeit von IRGENDjemandem aus der Redaktion 12 Monate hindurch – und es endete mit Jochens Tod, der in mir wie ein schwarzer Vogel nistet und krächzt.
    Die Sache mit der ZEIT seelenlos wie gestenlos. Das will die Welt moralisch belehren, eine Frau Dönhoff, die nie in meinem Leben ich je in einem Theater oder in einem Konzert sah, der spießige Millionär Bucerius in seinen Strickhemdchen, der sich anmaßt zu urteilen, weil er besitzt, oder der bramsig-eitle Helmut Schmidt. Nun ja.
    Auch gezeigt hat das Jahr, daß meine Kräfte abnehmen: Mehr Genuß als aus irgendeinem Coitus zog ich aus Lektüre und Rezension der Thomas-Mann-Tagebücher und der herrlichen Radikalität seiner Ansprachen DEUTSCHE HÖRER 1940 – 45. Das geht ziemlich weit: Die übliche morgendliche Erektion ist in dem Moment weg, in dem ich wach werde – d. h. zu denken beginne.
    Was wird da bleiben an «Genußfähigkeit»?

1987
    8. Januar
    Kehr-wieder-Boulette für Wunderlichs. Er ißt kaum noch, trinkt fast nur Wasser – ABER: Es ist schön wie immer, mit ihm zu reden, zu streiten auch – so leugnete er, beim Malen an irgendetwas anderes – Publikum, Erfolg, Echo – zu denken als an das, was er jeweils im Augenblick tut. Das glaube ich nicht. Form ist nicht nur Form – das gilt für Kunstgewerbe, aber nicht für Kunst, die ein anderes, einen «Mehrwert» produziert, deren Addition eben 2 mal 2 = 5 ist. Die schönste Jugendstillampe, die eleganteste Loetz-Konfektschale produziert eben das nicht, ist nichts als eine Lampe (die andere meinetwegen auch scheußlich finden können).
    16. Januar
    Tief bewegte Lektüre der neu erschienenen Mühsam-Briefe. Ein Charakter, ein gebildeter, literatur- und kulturhungriger Mann, der im Gefängnis Hilfe ausschließlich für andere erbittet. Was für ein Unrecht man ihm tat!
    17. Januar
    Mühsam-Lektüre beendet, tief beeindruckt von Bildung, Noblesse, Neugier und Menschlichkeit. Neu für mich, daß er schwul war.
    19. Januar
    Guttuso ist tot. Und nichts in meinem Leben geht ohne Pointe: Er starb in der Nacht von Samstag auf Sonntag – und am Sonntag, also im Hause des Toten, rief ich in Rom an: um ihn wegen seines Beitrages zur Wunderlich-Festschrift zu «mahnen». Ich mahne den toten Freund wegen des – noch – lebenden … Freundes? Ich mochte ihn sehr, er mich auch. Aber: Eben ruft Platschek an und erzählt mir: Der krebs- und gehirntumorkranke Guttuso ist allen Ernstes am Ende seines Lebens konvertiert. Der Kommunist, den ich noch heute in meinem Nachruf feierte, der Maler, der uns doch die Welt nach- und neu erzählte, verrät sein ganzes Leben. Läßt seine alten Freunde nicht mehr zu sich, empfängt nur noch Pfaffen und einen ominösen, mit Andreottis Hilfe hastig arrangierten Adoptivsohn – – – der nun die drei Schlösser, das (in der Schweiz deponierte) Millionenvermögen und die Nachlaß-Bilder (darunter doch ganz wunderbare) erhält: welche Absurdität.
    Ein doppelter Abschied auf diese Weise: von einer Person, einem Menschen – auch aber von einem Charakter.
    27. Januar
    Neulich im Bad ein ca. 14jähriger mit heftiger Erektion sich nicht nur provozierend neben mich unter die Dusche stellend, sondern mich dreimal in die Umkleidekabine verfolgend, jedesmal kokett das Hös’chen ausziehend und stolz-bewußt den sehr schönen jungen Schwanz zeigend. Ein Glück, daß kein Päderast.
    Steigenberger Hotel, Bonn, den 28. Januar
    Leeres Stroh beim und

Weitere Kostenlose Bücher