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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Tod.
    Fuerteventura, den 15. Februar
    Strahlender, perfekter Abschiedstag. Werde abends hier «Reste» essen, der gestrige Abend zu «bedrohlich»: Die dunklen Vögel von dem Segelschiff kamen ins Restaurant, verwegene, tätowierte Gestalten, deutlich zu allem bereit, Hauptsache Geld. «We need money urgently», sagte der Anführer, groß, dunkel, bärtig – wie ein leckeres Steak. Natürlich begreift so ein Typ sofort. «I would do something for a hot bath», sagte er ziemlich deutlich, als ich erzählt hatte, ich wohne 5 Minuten entfernt in einem Apartment. Und auf mein lüsternes «First something» kam frech: «Well, a little bit more than something.» Doch wahrscheinlich wäre ich tot aufgewacht, so jemand schneidet einem für ’ne Armbanduhr die Gurgel durch.
    19. Februar
    Eben lange mit Brasch telefoniert, der Geburtstag hatte (und etwas betrunken war): voller Haß auf diese Gesellschaft, beseligt von der Gorbatschow-Initiative; las mir endlos aus der Rede vor. Wenn es stimmt, daß er sie begann mit den Worten: «Ich weiß, hier sitzen eine Menge Menschen, die froh wären, ich würde morgen an den Baum fahren» – – – dann wirklich mutig und neu. Es keimt in einem die alte schöne Idee des WAHREN Sozialismus auf, DIE Welt, die wir meinten. Deshalb auch lieben Menschen wie Brasch und ich uns – – – weil wir diese unerfüllte Liebe noch immer in uns haben: nach einer Welt, die nicht so verlogen/verschleimt ist.
    Mich macht das alles traurig und müde und alt. Erwische mich dabei, wie ich mehr und mehr und intensiver das Abtreten einer GENERATION sehe – ob nun die Gréco oder Madame Price-Jones 60 wird oder Wunderlich oder Grass –, WIR haben doch die Welt des Nachkriegs geprägt, weil Krieg und Nachkrieg erlebt und erlitten. Wenn ich dann auf so einem Abendcocktail wie gestern abend bei Naumann bin, wo nur alte reiche Lemuren herumstehen, von Jane Ledig-Rowohlt bis zu irgendwelchen schwerreichen Society-Damen, dreimal geliftet, auch im Gehirn – – – – – dann komme ich mir sehr alt und sehr überflüssig geworden vor. Mein ganzer intellektueller und moralischer Angang ist/war ein anderer.
    Unsereins – ist wohl vieux jeu .
    27. Februar
    In der ZEIT-Redaktion, wo Haug von Kuenheim verabschiedet wurde. Die Präsenz im großen Kreis dort macht mir immer noch, wie lange soll das eigentlich so gehen?, schwer zu schaffen. Gestern noch besonders, weil Intrigen und Gerüchte schwirren, wer wohl nun stellvertretender Chefredakteur wird. Es kamen mindestens 12 – aus den unterschiedlichsten Ressorts – zu mir und sagten: «Eigentlich gäbe es nur einen Kandidaten, einen einzigen, der der Kopf des Blattes wäre: Sie.» Mein Mund war bitter, ich floh, setzte mich zu einem kleinen Italiener und betrank mich NICHT. Aber dort konnte ich nicht bleiben. Wartete dort auf Gerd, um in das Konzert mit der kleinen Mutter zu gehen, Brahms, wunderbar, löste mich etwas – mein Gott, die Person ist 23!! Sie wurde geboren, da stand die Mauer schon, und ich hatte mein erstes Leben hinter mir.
    Hotel Kempinski, Berlin, den 1. März
    Das Schönste von diesem Berlin-Wochenende: die Oelze-Ausstellung in der Akademie, stille grause Märchen. Man denkt an Arno Schmidt. Ganz selten die Grau-rosa-Töne.
    Wilsons DEATH, DESTRUCTION & DETROIT dagegen lärmiger Zirkus für Erwachsene. Feier des Unzusammenhängenden. Theater ohne Wort – also die Boutiquenversion des Barocktheaters. Was da «deus ex machina» war, ist hier die weiße Riesenmaus.
    Gestern abend mit Jurek Becker. Man ißt nicht mehr bei irgendeinem «Mario» oder in der castellanischen Kneipe, sondern im Bierkeller des Rathauses. Befund des psychosozialen Klimas in Deutschland! Die Kneipen heißen nun wieder «Spreegarten» oder «Bei Emil» statt «Roma» oder «Madrid».
    Becker spürbar verändert, behäbiger, mehr seiner selbst gewiß, die schöne jüdische Behendigkeit und Ironie noch in Resten; trinkt kaum, raucht nicht. Bis endlich des Rätsels Lösung: Er sitzt mit seinem Selbstbewußtsein auf viel Geld – verdient 1 Million beim Fernsehen mit einer Krimi-Folge. Fast ein Thema: wie Geld nicht nur (Selbst-)Bewußtsein, sondern den ganzen Menschen bis in die Körpersprache verändert. Nicht zum Guten …
    Der kleine Lunch bei Wapnewski in gewisser Weise eine Innuce-Inscenierung des Zerbröselns unserer Welt: die Wohnung eine Junggesellenbude mit verwelkten Blumen. In einem Raum vollkommen unangebracht – als habe es sich auf seinen zierlichen Beinen

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