Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
vom Bundespräsidenten. Weizsäcker ist letztlich doch sehr Silber-Zunge, «empfängt», aber weicht aus.
Verblüffend, wie der Begriff «Nation» – auch von ihm – geradezu geleugnet wird. Sind die Deutschen wirklich keine Nation mehr?
En bref: sinnlose Exkursion.
Fuerteventura, den 3. Februar
Sitze ca. 40 Meter über dem Meer, Abenddämmerung, eben grün-orangener Sonnenuntergang, gleich schlurfe ich den Strand entlang in die Fischerkneipe. Mal sehen, ob ich das (noch) aushalte, 14 Tage alleine, nichts als lesen.
Fuerteventura, den 4. Februar
Einsame Tage. Das Werk von García Márquez erschließt sich mir nicht – finde «Liebe in den Zeiten der Cholera» letztlich Unterhaltungsliteratur. Finde meinen Rhythmus nicht; habe Angst, eines Tages immer abends alleine zu sein …
Die Dämmerung auf meiner Terrasse hoch über dem quecksilberfarbenen Seidenmeer: auch sehr melancholisch. Abends alleine im Restaurant – unerfreulich. Spreche den ganzen Tag kein Wort.
Fuerteventura, den 6. Februar
Lese wie besessen – ein schönes, wucherndes, aber auch sehr undiszipliniertes Werk. Keinem europäischen Autor ließe man die ständigen Wiederholungen, ob Bild, Farbe oder Metapher, durchgehen – «getigerte Augen» darf man nur einmal verwenden, und auch den «Hodenbruch, groß wie eine Ochsenblase» kann man nicht 8mal lesen (respektive schreiben).
Die grünen Dämmerungen, das seidenwellende Meer im Abendlicht, meine Kerzen vor der tintigen Nacht mit Rotwein, Cigarre und Klaviermusik «leben» nicht. Eigentlich bin ich schon tot, leergeliebt?, ohne Freudigkeit, mein Blick geht nur noch nach innen. Kaum, daß ich mal den bezaubernden Spitzen-Saum sehe, den die schnellfüßigen Strandläufer in das auslaufende Wasser setzen, her und hin, hin und her. Bin verspannt, verkrampft und frage mich diese einsamen Abende durchaus, wozu ich eigentlich noch lebe.
Fuerteventura, den 8. Februar
Mit einem satten Samtmantel hüllt die Malvendämmerung die Insel ein, ein altes Segelschiff gleitet in die Bucht, auf dem Bug-Spriet (falls das so heißt) hocken Matrosen, wie Raben in das Dunkelviolett geschnitten. Wenig später rudern sie an Land, ein kleines Licht glitzert aus dem Schiff und tanzt ertrinkend im nun tintenschwarzen Meer – schöne Bilder, beruhigend. Oder nur, weil ich endlich Zugang zum García-Márquez-Werk gefunden? Jedenfalls zieht Ruhe bei mir ein, ich «nähere» mich diesem literarischen Kontinent und beginne, mich auf die große Kolumbien-Reise zu freuen. Entdecke – was hoffentlich nicht zu größenwahnsinnig – Parallelen: seine lange journalistische Arbeit, später Erfolg als Autor, noch mit 40 bettelarm.
Fuerteventura, den 9. Februar
Dem groß angelegten Spannungsbogen der Geschlechter im García-Márquez-Werk – die Männer als das «Tuende», Vorantreibende, auf Veränderung drängende Prinzip, die Frauen als das Bewahrende, das Währende – entspricht aufs Banalste, was ich am Strand beobachte: Wenn sie nicht wie rotgebrannte Frösche den ganzen Tag nur pennen (was die meisten, unfaßlich, tun), dann spielen die Männer, bauen kleine Sand-Schlösser mit Zwiebeltürmen und Gräben, fahren Tretboot, Wasserski; sind tätig selbst im «Nichtstun»; schlummern die Frauen, träge, gelassen, un-nervös, sind einfach «da» (auch stärker dadurch?), sie ruhen in sich. Sind auch deshalb so «transportabel», weil ihr eigenes Zentrum.
Ein Rätsel.
Fuerteventura, den 10. Februar
Testament gemacht. (Vordatiert auf 20. II., weil unklar, ob «Fuerteventura» rechtliche Schwierigkeiten brächte.) Sonderbares, nicht einmal un-gutes Gefühl, u. a. Gerd sicherzustellen mit der Kampenwohnung. Wird er dort einst an mich denken?
Heute übrigens sehr lieber Gruß von ihm – glaube ja doch, daß es hält … Hat offenbar Sorge wegen meiner «Nächte» hier – wenn er wüßte, wie sehr nichts sich da tut, zu meiner eigenen Verblüffung. Wie lange ist es her, daß ich den Folklore-Tänzer in Madeira über die Gartentreppe einschleuste oder den kleinen Stricher, vor dem mich dann der Portier warnte: «We by accident saw whom you invited to your room and must disadvice you . . . » Da arbeitete ich am Baldwin-Essay, vorm Schreibtisch einen Spiegel, den ich mir – man kann sich ja nicht stundenlang selber sehen – mit Zeitungspapier und Leukoplast zuklebte. Und schämte mich, über das Negerelend zu schreiben, und unten bedienten mich sechs Kellner unter Mimosenbäumen. Es war, glaube ich, kurz nach Eckfrieds
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