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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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ahne er, auch ohne zu fragen, daß der Alte eben NICHT alleine lebt. Was heißt ahnen – da die Bitte nach der Telefonnummer abgeschlagen wird, muß er das doch begreifen? Offenbar hat er auch begriffen, der Vater zweier Söhne – er meldet sich bei dem Alten nie mehr.
    Schluß der Erzählung: die groteske Spurensicherung des Alten, nächsten Abend kommt ja seine Frau von der Reise. Da hat er das Poppers-Fläschchen im Tiefkühlfach vergessen, da sieht er plötzlich, daß der «Gästebademantel» noch im Bad hängt, im Wäschekorb werden die alten Tennissocken obenauf gelegt, über das gewechselte Laken, die vielen Bierflaschen (er hat keinen Wein angeboten) werden beiseite geschafft – und immer wieder irgendwo ein kleiner Schreck: Plötzlich sieht er durch Zufall den Schwanzring neben dem Bett auf dem Teppich liegen. Die Spurensicherung hat den Hauch des Kriminellen und, wie wohl alles Kriminelle, auch des Kläglichen, Zittrigen, Kraftlosen.
    18. August
    Vorgestern eher verschleierter Abend bei Wunderlich. Er scheint mir verändert, unaufgeschlossen. Die Medikamente (denen er immerhin spürbare Besserung zu danken hat)? Sonst ist gerade das Schöne, daß wir nie nur plaudern, sondern ein «Thema» haben. Aber mein «Thema», nach Belgrad, wie Kommunisten trotz Stalin Kommunisten bleiben konnten und wie ähnlich bzw. wie unähnlich das den Hitleranhängern ist, wieso wir niemandem verzeihen, daß er Hitler-Oden gedichtet, aber leicht vergeben, daß jemand Stalin-Gedichte noch weit in den 50er Jahren (Hermlin, Brecht) geschrieben hat – er ging garnicht darauf ein.
    23. August
    ICH mach mir Skrupel wegen einer ja oder nein Mitarbeit beim STERN – – – – um ganzseitige Anzeigen zu lesen, in denen sich der STERN des Exklusivabdrucks der Memoiren von ZEITherausgeber- und Verleger Helmut Schmidt rühmt. Die Moral hat eben bei ALLEN an der Brieftasche ihre Grenze.
    Wie zum Trotz und zur «Reinigung» gestern bei letztem strahlenden Spätsommerwetter zu Grass aufs Land – wo ich aber ein verlöschendes Sonnensystem fand, doch noch recht mitgenommen von der Operation, aber auch unter deutlich schiefhängendem Haussegen und SEHR verbittert über das ganze Luchterhand-Theater, was ja nicht zuletzt eine große Niederlage für ihn, den Erfinder dieses Autorenstatus, ist. Mehr noch: Er sagte wörtlich: «Es ist wie ein Stück Sterben, etwas geht von mir fort, 30 Jahre literarischer Arbeit werden mir gleichsam gestohlen», ich weiß ja garnicht – der Autor Grass immerhin –, wem ich im Moment gehöre und ob ich vielleicht morgen einer Panzerfabrik oder einem Dynamitsyndikat gehöre. Der Tod hat an meine Tür geklopft.
    Am schrecklichsten aber war: Ich hatte ihm ja angeboten, ihm zu seinem 60. Geburtstag im Oktober ein kleines «Fest» zu schenken; denn in Berlin feiert er mit «den Müttern», wie Ute es traurig formuliert, in Behlendorf mit der engsten Familie (also zahllosen Kindern) – hier also «richtig». Es stellte sich aber heraus, daß er niemanden weiß, den er sehen möchte, den er von mir eingeladen sehen will: Wunderlichs, na klar – aber die werden in Herbstferien sein, Kunert vielleicht, auch Rühmkorf «meinetwegen» – aber KEIN Kritiker, kein einziger Verleger, nicht Siegfried Lenz, nicht Kempowski, also praktisch so gut wie keine Autoren«freunde». Da sitzt der berühmteste Schriftsteller der deutschen Nachkriegsliteratur, auf seine Weise der Nachfolger auf dem Stuhl von Thomas Mann – und hat kaum literarische Freunde, mit denen er so einen Tag verbringen möchte. Es wirkte, als wolle er ihn überhaupt nicht begehen, er sagte auch: «Ich hatte mich auf den Tag mal gefreut, aber die Freude habe ich nicht mehr», selbst die Gesamtausgabe sei weder fertig, noch würde sie vom Buchhandel «angenommen», vielmehr notieren die Vertreter dieses an Holländer verkauften Verlages nur Rückgänge.
    Unser – Gerds und meiner – Abend dann im Lübecker Dom bei Bruckners 8. unter dem alten Günter Wand war schön, traurig (der von mir sehr geliebte 3. Satz!), und selbst das Essen im herrlich patrizischen Schabbelhaus konnte mich nicht heiter stimmen.
    Hotel Ritz, Barcelona, den 25. August
    Begegnung mit García Márquez – finally . Beginnt mit Mißverständnis, als ich vom Element der «Vanité» in seinem Werk spreche (das Gespräch geht auf Französisch); ich meine Vergeblichkeit. Er, in weißem Seidenanzug, weißem Lack-Armband an der weißen Uhr, weißen Lederslippers, weißem Kugelschreiber,

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