Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
Vom Netzwerk:
dann aus den Augen verloren. Nun lädt der Herr mich ins LE CANARD, Hamburgs teuerstes Restaurant, ein, der Abend kostete 500 Mark – – – er hat eines dieser unsäglichen «Public-Relations-Büros», von denen ich (und wohl niemand) nie weiß, was sie eigentlich tun. Es scheint eine Art «Firmen-Psychotherapie» zu sein – wie bestimmte Vögel davon leben, daß sie den trägen, gefräßigen Nilpferden und Krokodilen die Reste aus den Zähnen picken, oder bestimmte winzige Fische unter dem Bauch der Wale leben – – – – so züchtet sich der freßsatte Kapitalismus solche Mit-Esser. Sie beraten die Firmen zu irgendeinem Quatsch: «Ich verhelfe Ihnen zu Ihrer Identität», sagt so jemand, ohne rot zu werden. Grotesk. Hier soll nun, typisch deutsch, ein Kongreß zum Thema «Genießen» abgehalten werden – statt zu genießen, machen sie nen Kongreß drüber. Als er einen seiner feinen «Art-Director»-Kollegen erwähnte, dessen Tagessatz über DM 5000 liege, und ich belustigt sagte: «Na, meiner ist anders» (ich meinte natürlich: viel kleiner), sagte er ganz schnell und beschwichtigend: «Natürlich, in Ihrem Fall zahle ich das Doppelte.»
    19. Januar
    Sitze in tiefer Depression. Die eigene Bizarrerie erstickt mich: Ich umgebe mich, um mich zu «trösten», mit immer mehr Luxus – – – aber der tröstet mich nicht. Eigentlich ist mein Leben unfreudig. Nun habe ich das neue Super-Auto, und es ist auch so wunderbar, daß ich mich frage, warum ich eigentlich dieses Wasserski-Laufen mit dem Porsche die Jahre gemacht habe, statt so ein bequemes, komfortables Ding anzuschaffen; und irgendwie genieße ich’s ja auch – leise, weich, elegant, Mahagoni und Leder: Aber ich genieße es auch wieder NICHT. So, wie ich jeden Morgen umgeben von feinen Blumen und Jugendstilmarmeladengläsern und Silber und feinstem Besteck und Orchideen frühstücke, Vivaldi oder Beethoven oder sonstwas auf dem teuren Stereo-Lautsprecher: und todunglücklich bin. Innere Fröhlichkeit, Heiterkeit, Frohsinn: nix.
    Deutlich ist eben doch: Mir ist meine Arbeit wichtiger als mein Wohlleben, man könnte auch sagen: Meine Eitelkeit wird eher und besser befriedigt, oder verletzt, wenn es um meine Arbeit geht, als wenn ich’s um mich herum einrichte. Zur «Premiere» des Jaguar-Autos in einem großartigen Martha-Argerich-/Gidon-Kremer-Konzert: ohne innere Leichtigkeit.
    23. Januar
    Nach Berlin, zur Lesung aus WOLKENTRINKER. Auch da macht mich die Differenz zwischen öffentlicher Verdammung und privater Zustimmung ganz wirre; was stimmt nu?! IMMER sind meine Lesungen überfüllt, dort standen sie auf der Straße an, und verkauft ist praktisch NICHTS. Wenn ich nur höre, wer alles das Buch angeblich wie oft verschenkt hat, müßte das schon eine kleine Auflage sein, selbst der Sohn von Ruth-chen (mit blau gefärbten Haaren, aber irgendwie an den alten Pisarek erinnernd) war da – – – und Ruth, am nächsten Tag, aß mit ihr paar Austern und trank ein Schlück-chen Champagner; sie sieht noch immer wunderschön aus, es wäre bestimmt DIE Frau für mich gewesen, und sie konnte zum zigsten Male es nicht lassen, von dem Buch zu schwärmen (das doch recht eigentlich sie auch kränken mußte; Frauen sind ZU seltsam).
    Danach, auch bizarr, ulkige Begegnung am Ku’damm mit einem Nun-nicht-mehr-Knaben, der mich ansprach, ob ich mich nicht erinnern könnte, wir hätten mal vor 12 Jahren … NATÜRLICH konnte ich mich nicht erinnern, aber er wußte sogar noch, wo meine E.-T.-A.-Hoffmann-Ausgabe stand, war also ein paarmal bei mir in Hamburg und ich ein paarmal in seiner Wohnung (keine Erinnerung an nichts mehr). Das Ulkige: Zum Schluß, auf der Straße, faßte er mich am Halse an, ich wußte erst nicht, was es solle, und sagte dann: «Du hast Glück, alles in Ordnung» – – – er meinte: kein AIDS. Das merke man nämlich an geschwollenen Halsdrüsen … AIDS-Test auf dem Ku’damm; eine bühnenreife Scene.
    28. Januar
    Es berührte mich, als ich gestern den Satz von Erich Mühsam «Auch mit 55 kann man noch sein Leben ändern» las. Kann man das? Wie macht man das, «refaire sa vie»? Natürlich könnte ich, wenn ich hier alles, was ich besitze, verscherbele, bis an das Ende meines Lebens sorgenfrei irgendwo im Süden leben. Finanziell. Aber sonst? Wie? Allein für den Preis der KAMPEN-WOHNUNG bekäme ich ein schönes Haus mit Swimmingpool und Personal in Mexiko, sagt die Schnecke. Und was, bitte sehr, soll ich in Mexiko? Man kann doch nicht den

Weitere Kostenlose Bücher