Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)
öffnete. Dunkelbraunes Holz, Judith tippte auf Mahagoni, so weit das Auge blickte, wie in einem riesigen Sarg. Am Ende der Halle war die breite Treppe, auf der ihr das letzte Mal schwindelig geworden war und wo sie sich an einem der Bilder festgehalten hatte. Dort prangte jetzt ein heller Fleck. Die Veranda war wohl nachträglich von einem Heimwerker in den 60er Jahren ausgebaut worden.
Das Regenbogenzelt bewegte sich zielstrebig vor ihr her zu einer Holztür rechts neben der Kombüse. Sabine trug natürlich keine Filzpuschen, sondern goldene Sandaletten. Sie klopfte. „Lindi?“
Sabine Sprengler öffnete die Tür. Hinter einem überladenen Barock-Schreibtisch stand eine Frau auf, die Judith auf den ersten Blick auf Anfang vierzig schätzte.
„Was ist denn, Bienchen?“, fragte sie und kam um den Schreibtisch herum. Judiths Blick fiel auf ihren schwarzen Minirock in der Länge eines Gästehandtuchs, der den Blick auf ein Paar sensationelle Beine zog. Marlene Dietrich wäre blass geworden vor Neid.
„Die Klingel ist mal wieder kaputt“, informierte Sabine. „Die Journalistin ist da.“
„Frau Schilling“, entschuldigte sich Linda, „das tut mir leid, treten Sie doch bitte ein.“
Judith schaute in ein Gesicht, das sie ein wenig an Winnetous Schwester erinnerte. Hohe Wangenknochen, große, leicht schräg stehende, dunkle Augen, ein schmaler Mund über einem Kinn, das wie gemeißelt aussah. Diese Skulptur wurde umrahmt von vollem, leicht welligem, halblangem, blondgesträhntem Haar.
„Ich bin Linda Sprengler“, sagte sie und streckte ihr eine Hand hin, die ihre Beine, den Minirock und ihr straffes Gesicht Lügen strafte. Es war eine lange, schmale Hand, die wie geräuchert aussah. Judith versuchte, einen Blick auf ihren Hals zu ergattern. Die Halsfalten hatte Frau Doktor geschickt mit einem bunten Seidenschal kaschiert, der zu der Tunika gehörte, die locker über dem Minirock hing.
Sie zeigte auf einen Stuhl, bei dem Judith befürchten musste, dass er ihr Gewicht nicht tragen würde.
„Bringst du uns einen Tee, Bienchen?“, fragte sie, als Judith vorsichtig auf dem fragilen Teil Platz nahm. Sie hatte nicht mal gefragt, ob Judith Tee mochte. Bienchen verschwand ohne ein Wort.
„Wir haben immer wieder einen Kurzschluss in der Klingel, bitte verzeihen Sie, dass Sie warten mussten,“ sagte Linda Sprengler, als sie sich graziös hinter dem Zuckerbäckerschreibtisch niederließ.
„Dafür haben Sie ein wunderschönes Haus“, sagte Judith und griff in ihre Tasche, um ihr Handwerkszeug herauszuholen. „Darf ich?“, fragte sie und hielt das Diktiergerät hoch.
„Selbstverständlich“, sagte Linda und verzog ihren schmalen Mund zu einem Lächeln, das nicht in ihren Augen ankam. Judith schaltete das Diktiergerät ein und nahm einen Zettel und einen Kugelschreiber. Das Diktiergerät war für die Kaldenberg, Judith pflegte anders zu arbeiten.
„Ja“, sagte Linda Sprengler, „es ist wirklich ein schönes Haus, leider sehr groß und sehr pflegeintensiv.“
„Das kann ich mir vorstellen“, sagte Judith, was natürlich glatt gelogen war, denn über eine 3-Raum-Wohnung war sie nie in ihrem Leben hinausgekommen. „Ich habe mich gefragt, welcher berühmte Architekt es gebaut hat.“
„Kein berühmter“, antwortete Linda Sprengler. „Als die Gegend hier erschlossen wurde, war es gerade in Mode, in den unterschiedlichsten Stilarten zu bauen. Es ist wie heute: Jeder kopierte jeden.“
„Interessant“, meinte Judith, der der Baustil von protzigen Villen herzlich egal war. „Und wo wohnte das Personal?“ Sie kritzelte auf ihren Zettel.
„Entweder im Dach, oder, wenn man viel Personal hatte, in der Remise. Es gibt hier auch eine Remise, dort wohnen wir.“
„Das heißt, dass Sie dieses Haus ausschließlich als Klinik benutzen?“ Judith wunderte sich, warum es hier dann so still war.
Frau Doktor nickte. „Wir führen hier Schulungen durch, ambulante und stationäre Operationen und natürlich unsere Anti-Aging-Therapie. Ich werde Ihnen gern nachher das Haus zeigen. Wir haben uns neben der klassischen plastischen Chirurgie auf chinesische Heilkunst spezialisiert.“
Sie stand auf und öffnete einen Schrank, der aussah, als ob sie ihn im Sonderangebot in einem asiatischen Importgeschäft gekauft hätte. Schwarzer Lack mit Figuren in Perlmutt. Sie stellte verschiedene Döschen und Fläschchen mit chinesischen Schriftzeichen vor Judiths Nase. Der ging das einfach zu schnell.
„Wissen Sie, wie
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