Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)
waren nicht zu hören gewesen auf dem gelben Chinateppich.
Eiskalte Sommertage
Es goss. Linda stand am Fenster ihres Büros in der Klinik und beobachtete, wie der Wind eine Wasserwand gegen die Goldulmen peitschte. Die Journalistin war eben gegangen. Hatte sie zu viel erzählt? Über Siggi, über ihre Kindheit? Ihr war innerlich kalt, so, als ob sie nie wieder ins Warme kommen würde, ihre Gelenke fühlten sich tiefgekühlt an, wie eingefroren. Genauso wie in jenem Sommer 1954. Es war ihr Sommer gewesen – der Sommer von Siggi und Lindi.
Obwohl man von Sommer wahrlich nicht reden konnte, Berlin holte sich in diesem Jahr den zweifelhaften Titel als kälteste Stadt Europas. Dafür holte sich die Fußballnationalmannschaft der Bundesrepublik Deutschland den Weltmeisterschaftstitel. Ihr Vater hatte gerade ihren ersten Fernseher angeschafft, und Siggi und Linda durften all ihre Freunde zu der Liveübertragung des Endspiels einladen. Was für eine Sensation!
Lys Assia sang „Oh, mein Papa.“
Linda summte die Melodie des alten Liedes vor sich hin. In der Fensterscheibe sah sie ihr Spiegelbild. Auch sie sah aus wie ein Clown, wie ein trauriger Clown, ihre Wimperntusche hatte sich aufgelöst. Sie hinterließ kleine, schwarze Rinnsale auf ihren Wangen.
Linda drehte sich um und schaute auf die Kopie eines Lesser Ury-Gemäldes. Sie liebte dieses Bild von dem Leben auf der Leipziger Straße, der Maler schaffte es, sogar mit der Kopie, Regen so zu malen, dass sich ein Betrachter klatschnass fühlte, selbst wenn es draußen nicht regnete.
Ihr Papa war in diesem Sommer nach Amerika geflogen, um erneut die Witwe seines alten Kompagnons Braun zu suchen.
Ihrem Vater war es nie um die Bilder gegangen. Er hatte sie von seinem Vater geerbt, sie waren eine Geldanlage, sonst nichts. Ihr Vater liebte die Klinik, sie war sein Leben, nachdem ihre Mutter tot war. Kinder interessierten ihn nicht. Er schickte sie in ein Zeltlager auf Bornholm.
Linda ging zurück an ihren Schreibtisch und setzte sich auf den zierlichen Stuhl, der genauso unbequem war, wie er aussah, aber daran war sie seit Jahrzehnten gewöhnt. Sie nahm den goldenen Rahmen vom Tisch und schaute das Bild ihres Bruders an, das sie nach seiner Beerdigung hier aufgestellt hatte.
Sie glaubte, wieder den Geruch nach Meer, nach Plankton und Fisch zu riechen, die kühle Brise, die von der Ostsee heraufzog, verursachte ihr eine Gänsehaut.
Die Jungen links, die Mädels rechts, so war das damals, nicht nur in der Schule, sondern auch im Zeltlager auf Bornholm. Damit sie keinen Unsinn anstellen konnten.
Linda glaubte, ihren Bruder leise lachen zu hören.
Kaffeeklatsch am Kudamm
Zwei Tage später trat Elke ihren „Dienst“ im Hause Sprengler an. Sie fehlte Judith, nicht nur, weil sie zu ihr einen besonderen Draht hatte. Wie schnell man sich doch an so eine Luxusfütterung gewöhnt, dachte Judith.
„Elke tickt wie ein Schweizer Uhrwerk“, sagte Hüsy, als Judith ihn und Oliwia bei einer Latte Macchiato-Pause in der Küche über Elke befragte.
„Sie ist Lady Kaas älteste Freundin, hat sie mir erzählt“, sagte Judith.
Hüsy nickte. „Alice und Elke sind zusammen hier in diesem Haus aufgewachsen. Es gehörte Alices Eltern. Elke ist die Tochter der Haushälterin von Alices Mutter. Die beiden sind wie Schwestern, sie sind fast gleich alt.“
„Das heißt, sie hat den Job von ihrer Mutter geerbt?“
Hüsy und Oliwia prusteten fast gleichzeitig los.
„Was ist daran so komisch?“, fragte Judith.
„Hast du etwa gedacht, dass Elke Alices Haushälterin ist?“
„Klärt mich auf!“, sagte Judith.
Und so erfuhr sie, wer Elke war. Elke Friedrichs. Na klar, sogar sie hatte von Elke Friedrichs schon mal was gehört. In ihrer Jugend war Elke eine bekannte Schauspielerin gewesen, die Judith sogar öfter im Fernsehen gesehen hatte. Bis zu dem Tag, als sie den zwanzig Jahre jüngeren Lutz Möbius kennen lernte.
Lutz Möbius war damals ein junger, ambitionierter Koch gewesen. Und Elke liebte es, zu kochen. Sie eröffneten gemeinsam ein Restaurant. Elke erfand Rezepte, die Möbius kochte. Sie war das Genie, die Künstlerin, er war der Handwerker. Mit ihrer Hilfe wurde er einer der ersten deutschen Sterneköche, ihr gemeinsames Restaurant wurde berühmt, sie eröffneten gemeinsam ein Hotel. So gut wie Möbius kochte, so schlecht war er als Geschäftsmann. Und Elke, die Künstlerin, entwickelte sich zwar zu einer halbwegs brauchbaren Geschäftsfrau, aber was Elke vorn mit
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