Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)
absolut richtig.“ Dann nahm er eine Pinzette und zog einen Faden aus dem Rand der Leinwand.
„Mit dem Weiß kann man ebenfalls das Alter bestimmen“, sagte Egon und zeigte auf die Petrischale mit dem Farbstaub, den er mit dem Skalpell runtergeholt hatte. „Zinkweiß leuchtet anders als Bleiweiß.“
„Und wie reparierst du den Riss?“, fragte Wolfgang.
„Ich werde ihn mit den Fäden aus der Leinwand nähen und von hinten verkleben. Vorn wird übergemalt.“ Egon tauchte einen Lappen in eine Flüssigkeit und betupfte die Leinwand rund um den Riss.
Diese Geduld hätte ich nicht, dachte Wolfgang.
„Guck mal, da kommt blau durch.“ Wolfgang stand auf und schaute auf den Punkt, den Egon ihm zeigte.
„Ick seh nüscht.“
„Doch, hier“, sagte Egon und tupfte noch mal.
„Jetzt seh ick das auch“, sagte Wolfgang. „Blau.“
„Da ist noch ein anderes Gemälde drunter“, sagte Egon.
„Wie jetze?“
„Ach, das ist normal, Leinwände sind teuer, früher noch mehr. Und Künstler sind Hungerleider. Also wird fleißig übermalt, was danebengegangen ist.“
„Und ich dachte“, sagte Wolfgang, „wir hätten jetzt einen unbekannten Monet entdeckt.“
Egon lachte. „Lass man gut sein, Alter, so wat passiert leider nie und wenn, dann nicht uns.“
„Kann man das sichtbar machen?“, fragte Wolfgang.
„Kann man, aber ich nicht. Aber mein Schwager, der kann das. Mein Schwager ist ein Professor Doktor, verstehste.“
„Und was würde der damit machen?“, fragte Wolfgang.
„Die arbeiten mit Infrarot. Damit kannst du Übermalungen sichtbar machen. Ist teuer, so eine Untersuchung.“
„Und das macht der für dich nicht umsonst?“, fragte Wolfgang.
„Du meinst, einfach so aus Spaß? Ich hatte so einen Fall noch nicht.“
„Frag ihn doch mal, wäre doch interessant.“ Egon brummte etwas Unverständliches, während er mit dem Skalpell ein wenig von der blauen Farbe, die unter der Oberfläche lag, abkratzte.
„An diesem Gemälde ist was komisch, Wolfgang. Ich kann dir nicht genau sagen, was. Ich habe nur so ein merkwürdiges Gefühl in der Magengrube. Von Sprengler, sagtest du?“
Wolfgang nickte. „Ick glaube, so hießen die.“
„Pass uff, Alter, du lässt mir das Ding hier und ich schau mal, ob ich meinen Schwager bequatschen kann.“
Es dämmerte bereits, als Judiths Vater nach Hause ging.
Versionskonflikt
„Was hältst du von einem verlängerten Wochenende in Juan-les-Pins?“, fragte Nils, als sie bei ‚Rasas' am Fürstenplatz saßen und Ingwerlassi schlürften.
„Was meinst du mit verlängertem Wochenende?“, fragte Judith vorsichtig.
„Wir könnten morgen nach deinem Dienstschluss losfahren und wären Dienstagabend zurück. Meinst du, du bekämst zwei Tage Urlaub bei deiner Zeitung?“
Verdammt! Judith saß in der Falle. Sie konnte Nils ja schlecht erzählen, dass sie am Wochenende bei Ralph hinter dem Tresen stand. Freitagabend und Samstag und Sonntag in Doppelschicht. Und wie sollte sie Lady Kaa um zwei Urlaubstage bitten, so kurz nachdem sie angefangen hatte, ohne ihr die Wahrheit zu sagen? Aber was war die Wahrheit? Schnüffelte sie Nils in offizieller Mission hinterher oder verbrachte sie Zeit mit ihrem Liebhaber, der dafür sorgte, dass sie bereits fast zwei Kilo abgenommen hatte. Vor Aufregung?
„Wie kommst du auf Juan-les-Pins?“, fragte Judith so arglos wie möglich. Natürlich wusste sie, dass seine Schwester Carlotta in Frankreich wohnte.
Mist. Sie fühlte sich schlecht. Wirklich schlecht. So etwas hatte sie noch nie getan. Einem Kerl einen Orgasmus vorspielen – okay, das macht ja jede mal. Aber jemanden, den man wirklich mag, auszuspionieren – Judith saß in der Zwickmühle.
„Ich weiß nicht“, sagte sie, „ob ich Urlaub kriege.“ Sie konnte sich nur mit der Weigerung ihrer Arbeitgeber rausreden. Oder? War es nicht sinnvoll, auch Carlotta unter die Lupe zu nehmen? Auf was für ein Spiel hatte sie sich da eingelassen? Was, zum Teufel, sollte sie tun? Sie konnte nicht am Wochenende weg, wovon sollte sie leben? Judith sagte, sie würde morgen fragen, ob sie kurzfristig Urlaub bekommen könnte. Das war ein Aufschub. Sie musste sich entscheiden. Dieser Abend war irgendwie gelaufen. Sie konnte jetzt nicht mit ihm …
Also bekam sie plötzlich rasende Kopfschmerzen. Onkel Doktor brachte sie heim und fürsorglich ins Bett, versorgte sie mit Aspirin und einem zärtlichen Kuss. Die Nacht war ebenfalls gelaufen, sie konnte kaum schlafen. Und wenn, dann
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