Tai-Pan
für uns beide sehr aufmerksam beobachten.« Sie hatte ihm sehr bestimmt zugenickt und ihn dann mit einem strahlenden Lächeln bedacht. »Welcher Gott der stärkste ist, wird dann für uns sorgen.«
»So etwas kannst du doch nicht tun. Es gibt nur einen Gott. Einen!«
»Beweis es!« hatte sie gesagt.
»Das kann ich nicht.«
»Da siehst du es. Wie können sterbliche Menschen Gott beweisen, irgendeinen Gott? Aber ich bin ein Christ wie du. Glücklicherweise jedoch auch Chinesin, und in diesen Gott-Dingen ist es besser, ein wenig chinesisch zu denken. Sehr klug, nach allen Seiten in seinen Gedanken frei zu sein. Sehr klug. Für dich ist es ein Joss, daß ich Chinesin bin; denn dann kann ich auch für uns chinesische Götter bitten.« Hastig hatte sie hinzugefügt: »Die es natürlich nicht gibt.« Sie hatte ihn angelächelt. »Ist das nicht schön?«
»Nein.«
»Selbstverständlich, hätte ich die Wahl – ich habe sie nicht, da es nur einen Gott gibt –, würde ich die chinesischen Götter vorziehen. Sie wollen nicht, daß ihre Gläubigen andere Götter schlachten oder alle Leute töten, die sich nicht beugen.« Wieder war sie hastig fortgefahren: »Aber der christliche barbarische Gott, der allein ist und der einzige Gott, erscheint mir, einer armen, einfachen Frau, sehr blutdürstig und schwierig, um mit ihm auszukommen, aber natürlich glaube ich an ihn. So ist es«, hatte sie mit Nachdruck geendet.
»Das ist überhaupt nichts.«
»Ich glaube, euer Himmel ist ein verdammt seltsamer Ort, Tai-Pan. Alle fliegen herum wie Vögel und alle tragen Bärte. Kennt man im Himmel auch Liebesspiele?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wenn wir uns nicht lieben können, gehe ich nicht in deinen Himmel. O nein, bestimmt nicht. Wahrer Gott oder nicht. Das wäre ein sehr schlimmer Ort. Das muß ich feststellen, bevor ich hingehe. Ja, bestimmt. Und noch etwas, Tai-Pan. Wofür sollte der einzige wahre Gott, der aus diesem Grund unerhört tüchtig sein muß, sagen, nur eine einzige Frau, heja, was entsetzlich dumm ist? Und wenn du ein Christ bist, wofür sind wir wie Mann und Frau, wenn du schon Frau hast? Ehebruch, he? Sehr schlimm. Wofür brichst du so viele der zehn Gebote, heja, und nennst dich doch noch immer sehr selbstverständlich einen Christen?«
»May-may, einige von uns sind Sünder und schwach. Der Herr Jesus wird uns vergeben. Einigen von uns. Er hat versprochen, uns zu vergeben, wenn wir bereuen.«
»Das würde ich nicht«, hatte sie sehr energisch erklärt. »Nein, wenn ich der Allerhöchste Eine Gott wäre. Nein, bestimmt nicht. Und noch etwas, Tai-Pan. Wie kann Gott ›Dreieinigkeit‹ sein und doch Nummer-Eins-Sohn haben, der auch Gott ist, der geboren wurde von richtiger Frau, ohne Hilfe vom richtigen Mann, die dann Mutter von Gott wird? Das ist es, was ich nicht begreife. Aber versteh mich nicht falsch, Tai-Pan, ich bin Christin wie jede andere auch, bei Gott, heja?«
Viele solcher Gespräche hatten sie miteinander geführt, und jedesmal hatte er sich in eine Auseinandersetzung verwickelt gesehen, die kein Ende und keinen Anfang hatte, nur daß er wußte, es gebe lediglich einen Gott, den wahren Gott, und ebenso wußte er, daß May-may dies niemals verstehen würde. Er hatte gehofft, daß Er vielleicht, wenn die Zeit gekommen sei, sich ihr verständlich machen würde …
»Bitte, Tai-Pan«, sagte May-may nochmals, »ein bißchen so tun wird niemand schaden. Ich habe bereits ein Gebet zu dem Einen Gott gesprochen. Vergiß aber nicht, daß wir in China sind und dies ein chinesischer Fluß ist.«
»Aber es nützt ganz und gar nichts.«
»Ich weiß. O ja, Tai-Pan, ich weiß es bestimmt. Aber ich bin nur eine zweijährige Christin, und so müßt ihr etwas Geduld mit mir haben, du und Gott. Er wird mir ja vergeben«, schloß sie triumphierend.
»Also meinetwegen«, sagte Struan.
Sie ging nach unten. Als sie zurückkam, hatte sie sich Gesicht und Hände gewaschen und das Haar aufgesteckt. In den Händen hielt sie einen in Papier gewickelten Silberbarren. Das Papier war mit chinesischen Schriftzeichen bedeckt.
»Hast du diese Schriftzeichen geschrieben?«
»Ja. Ich habe einen Pinsel und Tinte gefunden. Ich habe ein Gebet an den Meeresgott geschrieben.«
»Wie heißt es?«
»O Großer, Weiser, Mächtiger Meeresgott, als Gegengabe für dieses sehr große Geschenk, das fast hundert Silbertaels wert ist, bring uns bitte sicher zu einem Barbarenschiff mit Namen China Cloud, das meinem Barbaren gehört, und von
Weitere Kostenlose Bücher