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Tai-Pan

Tai-Pan

Titel: Tai-Pan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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würde bedeuten, daß jeder vierte Mensch auf der Erde ein Chinese ist.«
    »Ich Angst haben um mein Volk, wenn alle Barbaren so sind wie du. Ihr tötet so viele – und so leicht.«
    »Ich habe sie getötet, weil sie versucht haben, mich umzubringen. Außerdem sind wir keine Barbaren.«
    »Ich freue mich, daß ich dir zugesehen habe, wie du getötest«, sagte sie unergründlich. Ihre Augen leuchteten, ihr Kopf zeichnete sich dunkel vor dem heller werdenden Himmel ab. »Und ich mich freuen, daß du nicht getotmacht bist.«
    »Eines Tages bin auch ich tot.«
    »Natürlich. Aber ich freue mich, daß ich dir zugesehen habe, wie du getötest. Duncan, unser Sohn, wird deiner würdig sein.«
    »Bis er herangewachsen ist, wird man nicht mehr töten müssen.«
    »Wenn die Kinder der Kinder seiner Kinder herangewachsen sind, wird man noch immer töten. Der Mensch ist ein Mordtier. Die meisten Menschen. Wir Chinesen wissen das. Aber die Barbaren sind schlimmer als wir. Schlimmer.«
    »Das glaubst du, weil du Chinesin bist. Ihr habt weit mehr barbarische Bräuche als wir. Die Menschen verändern sich, May-may.«
    Darauf erwiderte sie nur: »Lern von uns, lern aus den Erfahrungen Chinas, Dirk Struan. Die Menschen sich niemals verändern.«
    »Lern lieber von uns, lern aus den Erfahrungen, die England hat, meine Kleine. Die Welt kann sich zu einer Stätte der Ordnung entwickeln, wo alle vor dem Gesetz gleich sind. Und das Gesetz ist gerecht. Das Gesetz ist die Redlichkeit selber. Es ist unbestechlich.«
    »Ist das so wichtig, wenn man verhungern muß?«
    Darüber dachte er lange nach.
    Die Lorcha trieb schwerfällig flußab. Andere Schiffe zogen an ihnen vorbei, flußauf und flußab, und die Mannschaften starrten die Lorcha neugierig an, blieben aber stumm. Ein Stück voraus machte der Fluß eine Biegung, und Struan steuerte die Lorcha vorsichtig in die Fahrrinne. Die Leinwanddichtung schien zu halten.
    »Ich glaube wohl«, antwortete er schließlich. »Doch. Ich glaube, das ist sogar sehr wichtig. Ach ja, das hatte ich dich schon die ganze Zeit fragen wollen: Du sagtest, du hättest die Erste Dame Jin-kwas aufgesucht. Wo hast du sie kennengelernt?«
    »Ich war Sklavin in ihrem Haus«, antwortete May-may ruhig. »Kurz bevor Jin-kwa mich an dich verkaufen.« Sie blickte ihm in die Augen. »Du hast mich doch kaufen, nicht wahr?«
    »Ich habe dich eurem Brauch entsprechend erworben, stimmt. Aber du bist keine Sklavin. Du kannst ganz nach deinem Belieben weggehen oder bleiben. Das habe ich dir schon am ersten Tag gesagt.«
    »Da habe ich es dir nicht glauben. Aber jetzt glaube ich es dir, Tai-Pan.« Sie betrachtete das Ufer und die vorbeiziehenden Schiffe. »Niemals zuvor ich habe Menschen sich töten sehen. Ich liebe das Töten nicht. Liegt es daran, daß ich Frau bin?«
    »Ja. Und nein. Ich weiß es nicht.«
    »Tötest du gern?«
    »Nein.«
    »Schade, daß dein Pfeil Brock verfehlen.«
    »Ich habe nicht auf ihn gezielt. Ich wollte ihn nicht umbringen, sondern ihn nur veranlassen, das Ruder herumzudrücken.«
    Sie sah ihn verwundert an. »Ich schwöre bei Gott, Tai-Pan, du bist schon seltsam phantastisch.«
    »Und ich schwöre bei Gott, May-may«, sagte er, und um seine Augen erschienen Lachfältchen, »auch du bist seltsam phantastisch.«
    Sie lag auf der Seite und betrachtete ihn zärtlich. Dann schlief sie ein.
    Als sie erwachte, war die Sonne aufgegangen. Das Land neben dem Fluß war niedrig und verlor sich am nebligen Horizont. Ein üppiges Land, in zahllose Reisfelder aufgeteilt, auf denen grün der Winterreis wogte. In der Ferne umwölkte Berge.
    Genau vor ihnen erhob sich die Marmorpagode. Und unterhalb von ihr lag die China Cloud.

 
Z WEITES B UCH
     

9
    Vier Tage später war die China Cloud in der Deepwater Bay, am Südufer der Insel Hongkong, heimlich vor Anker gegangen. Es war ein kalter Morgen, der Himmel war bedeckt, die See grau.
    Struan stand an den rautenförmigen Fenstern der großen Kajüte und blickte zur Insel hinüber. Die kahlen Berge, die die Bucht umgaben, fielen steil ins Meer ab, ihre Gipfel waren von Wolken verhüllt. Im Innern der Bucht lag ein kleiner Sandstrand, und von dort stieg das Land zerklüftet und öde zu den Wolken auf. Möwen kreischten. Die Wellen plätscherten leise am Schiffsrumpf, und sechsmal erklang die Schiffsglocke.
    »Ja?« rief Struan als Antwort auf ein Klopfen an der Tür.
    »Der Kutter ist zurück«, meldete Kapitän Orlow brummig. Er war ein kleiner, buckliger Mann, aber

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