Tai-Pan
ihm. Vorsichtig bediente er das Ruder, und das Schiff fiel um ein paar Strich ab. Der Wind drückte auf die Segel, und das Schiff legte sich scharf über, wobei das Leck unter Wasser tauchte.
Die Männer schrien warnend, und Struan glich die Schlagseite ein wenig aus. Gefährlich, so zu segeln, dachte er. Ich kann es nicht wagen, einen Schlag über Steuerbord zu segeln. Schon leichter Wellengang reißt die Abdeckung herunter, und wir gehen wie ein Stein unter. Wenn ich durch den Six Rock Channel fahre, wird Brock mich niemals finden, aber ich kann mir kein solches Manöver erlauben. Also muß ich im Hauptstrom bleiben. So gerade wie möglich vor dem Wind laufen.
Er stellte seine Position fest. Die Marmorpagode mußte acht oder neun Meilen flußab liegen.
Mit dem unter dem Kiel durchgezogenen Segel, das wie ein Sturmanker wirkte, legte die Lorcha nur etwa zwei oder drei Knoten zurück. Da er vor dem Wind bleiben mußte, um jedes Kreuzen zu vermeiden, würde das Schiff noch mehr an Geschwindigkeit verlieren. Der Fluß zog sich in vielen Windungen hin. Mit ein wenig Joss, dachte er, kann ich jetzt auf Steuerbordhalsen einen Schlag weiterkommen. Dann lasse ich die Segel herunter, treibe in der Strömung und setze erneut Segel, sobald ich in günstiger Position bin.
Er überließ Wung die Ruderpinne, ging nach unten und überprüfte die Leinwand im Leck. Mit Joss wird sie eine Weile halten, dachte er. Er nahm einige Teetassen mit und kehrte an Deck zurück.
Die Leute von der Mannschaft hatten sich auf der einen Seite in einer Gruppe zusammengekauert und hielten sich verbissen fest. Es waren nur sechs Mann.
»Heja! Nur sechs Bullen! Wo sind zwei?«
Wung deutete über die Reling hinaus und lachte. »Krach-bum, fallen!« Dann machte er eine Handbewegung nach achtern und zuckte die Achseln. »Macht nichts.«
»Zum Teufel noch mal, warum nicht retten, heja?«
»Wozu retten, heja?«
Struan wußte, daß es sinnlos war, auch nur den Versuch einer Erklärung zu machen. Nach Auffassung der Chinesen war es Joss, daß die Männer über Bord gegangen waren. Es war nichts weiter als Joss – ihr Joss – zu ertrinken, und außerdem war es der Wille der Götter. Es wäre sehr unklug, sich gegen den Willen der Götter aufzulehnen. Rettete man einen Menschen vor dem Tode, so war man selbst für ihn verantwortlich, solange er lebte. Das war nicht mehr als recht und billig. Denn wenn man den Willen der Götter durchkreuzte, mußte man auch bereit sein, ihre Pflichten auf sich zu nehmen.
Struan goß Rum in eine Tasse und reichte sie May-may. Dann bot er jedem der Mannschaft nacheinander einen Schluck an, ohne Dank zu erwarten oder zu erhalten. Seltsam, sagte er zu sich, aber eben chinesisch. Warum sollten sie mir auch dafür danken, daß ich ihnen das Leben gerettet habe? Es war nur Joss, daß wir nicht gesunken sind.
Gott, ich danke dir für meinen Joss. Ich danke dir.
»Hola!« rief einer der Seeleute besorgt und blickte dabei über die Schiffsseite hinab.
Die Leinwand im Leck begann sich zu lösen. Struan stürzte unter Deck. Mit dem Kampfeisen stieß er das mit Wasser vollgesogene Segel tiefer in die Wunde des Schiffes hinein. Drei Fuß tief schwappte das Wasser in der Bilge. Er stemmte eine Kiste fester gegen die Leinwand und stopfte noch mehr Silberbarren in die Risse.
»Das wird halten«, sagte er laut. »Ja, vielleicht.«
Er ergriff das Kampfeisen und kehrte in die große Kajüte zurück, in der ein fürchterliches Durcheinander herrschte. Sehnsüchtig sah er zur Koje hinüber, nahm dann eine mit Gras gefüllte Matratze und stieg die Treppe wieder nach oben.
Auf den oberen Stufen angelangt, erstarrte er. Wung hielt die Pistole auf ihn gerichtet. Ein zweiter Chinese zielte mit der Muskete auf ihn, und zu seinen Füßen lag regungslos Ah Gip. Ein Mann der Besatzung hatte seinen Arm um May-mays Hals geschlungen und hielt ihr mit der anderen Hand den Mund zu. Als Wung abdrückte, riß Struan instinktiv die Matratze hoch und warf sich zur Seite. Er fühlte, wie die Kugel seinen Hals streifte. Dann stürzte er an Deck. Das Gesicht brannte ihm vom Schießpulver, die Matratze hielt er sich als dürftigen Schild vor. Der zweite Chinese schoß aus nächster Nähe, aber die Muskete explodierte und riß ihm die Hände ab. Verwundert starrte er seine Armstümpfe an und schrie.
Als Wung und die Mannschaft ihn angriffen, schlug Struan mit dem Kampfeisen zu. Der Morgenstern traf Wung seitlich und zerfetzte ihm die Hälfte des
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