Tai-Pan
sie nieder, löste die Bandagen um May-mays Füße und trocknete sie ab. Sie puderte die Füße ein, nahm saubere, trockene Bandagen und zog ihr neue, bestickte Hausschuhe an. »Sie sind so schön, Mutter«, sagte sie.
»Danke, Ah Sam.« May-may kniff Ah Sam zärtlich in die Wange. »Aber mach bitte nicht so viele Bemerkungen über Vaters Anhängsel.«
»Ich habe nur höflich sein wollen; außerdem verdienen sie weit mehr als nur ein bißchen Respekt.« Ah Sam nahm die Nadeln aus May-mays Haaren und begann sie zu bürsten. »Normalerweise wäre ein Vater sehr stolz über eine solche Anerkennung. Ich verstehe unsern barbarischen Vater wirklich nicht ein bißchen. Nicht ein einziges Mal ist er mit mir ins Bett gegangen. Bin ich denn so widerlich?«
»Ich habe dir doch immer wieder erklärt, daß bei den Barbaren die Väter nicht mit allen Frauen des Hauses ins Bett gehen«, sagte May-may gelangweilt. »Er tut es ganz einfach nicht. Es widerspricht seiner Religion.«
»Das ist wirklich ein sehr schlimmer Joss«, meinte Ah Sam, »einen solchen Vater zu haben, so befähigt, und dann verstößt er gegen seine Religion.«
May-may lachte auf und gab ihr das Tuch. »Jetzt lauf, kleines Ölmaul. In einer Stunde bringst du Tee, und wenn du zu spät kommst, erhältst du eine ordentliche Tracht Prügel!«
Ah Sam eilte hinaus.
May-may betupfte sich mit etwas Parfüm und dachte voller Erregung an ihr Ballkleid und an ihre andere Überraschung. Dann ging sie ins Schlafzimmer hinüber.
Liza Brock öffnete die Tür der Kammer und ging zur Koje. Sie fühlte, wie ihr der kalte Schweiß aus den Achselhöhlen herablief, denn sie wußte, für Tess war dies eine entscheidende Stunde. Jetzt oder nie. »Komm jetzt, mein Lieber«, sagte sie und rüttelte Brock erneut. »Es ist an der Zeit, aufzustehen.«
»Laß mich doch liegen.« Brock drehte sich auf die andere Seite, sanft gewiegt von der Strömung, die am Rumpf der White Witch entlangleckte. »Ich werd' mich noch rechtzeitig genug anziehen.«
»Das sagst du nun schon seit einer halben Stunde oder noch länger. Steh jetzt auf, oder du kommst zu spät.«
Brock gähnte, streckte sich und richtete sich in seiner Koje auf. »Die Sonne is' noch nich' mal untergegangen«, sagte er verschlafen und blickte zum Bullauge hinaus.
»Gorth wird bald eintreffen, und du wolltest doch früh fertig sein. Außerdem wolltest du mit dem Kommissionär die Bücher durchgehen. Du hast mich drum gebeten, daß ich dich wecke.«
»Schon gut, hör nur auf, Liza.« Wieder gähnte er und sah sie an. Sie trug ein neues Kleid aus dunkelrotem Seidenbrokat mit enggeschnürter Taille. Der Rock bauschte sich über zahllosen Unterkleidern. Ihr Haar hatte sie zu einem festen Knoten aufgesteckt. »Siehst richtig hübsch aus«, sagte er, ohne sich viel dabei zu denken, und streckte sich erneut.
Liza spielte mit dem riesigen Federhut, den sie in den Händen hielt, und legte ihn dann hin. »Ich helfe dir beim Anziehen«, sagte sie.
»Was soll denn das? Habe dir doch gesagt, mein alter Anzug is' noch gut genug!« stieß er hervor, als er seine neuen Kleider auf dem Stuhl erblickte. »Glaubst du denn, man kommt so leicht zu Moneten, daß du sie vergeuden kannst wie Salzwasser?«
»Nein, mein Lieber, aber du hast einen neuen Anzug gebraucht, und du mußt wirklich gut aussehen.« Sie hielt ihm das schmale Korsett hin, daß ein Mann der Mode gehorchend tragen mußte, um eine schlanke Taille zu haben. Brock fluchte und stieg aus dem Bett. Nachdem er das Korsett über seinem langen, wollenen Unterzeug angelegt hatte, ließ er es murrend zu, daß sie ihm in die Kleider half.
Aber als er dann in den Spiegel blickte, war er höchst erfreut. Das neue Hemd mit den Rüschen bauschte sich auf seiner Brust, und der kastanienbraune samtene Gehrock mit den goldbestickten Aufschlägen saß hervorragend: breit an den Schultern und schmal in den Hüften. Die enge weiße Hose wurde durch Stege unter den glänzenden schwarzen Abendstiefeln straff gehalten. Eine orangefarbene modische Weste, eine goldene Uhrkette mit einem Petschaft als Anhänger vervollständigten den Anzug.
»Du siehst wirklich aus wie der König von England, mein Lieber!«
Er strich sich den Bart, der sich unter seinem kraftvollen Griff sträubte. »Na«, sagte er barsch, in dem Versuch, seine Befriedigung zu verbergen, »vielleicht hattest du doch recht.« Er drehte sich herum und betrachtete sich von der Seite. Dabei drückte er den Samt etwas fester an seine
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