Tai-Pan
habe dich – und Tess – ›kühl und leidenschaftslos‹ betrachtet.«
»Und zu welchem Schluß bist du gelangt?«
»Daß für dich die Gefahren größer sind als die Vorteile.«
»Dann bist du also völlig dagegen, daß ich sie heirate?«
»Ich bin dagegen, daß du sie liebst. Aber Tatsache ist nun einmal, daß du sie liebst oder glaubst, es zu tun. Und eine weitere Tatsache ist die, daß du sie heiraten wirst, wenn du kannst.« Struan nahm einen langen Zug aus seiner Zigarre . »Glaubst du, daß Brock einverstanden ist?«
»Ich weiß es nicht. Ich glaube es kaum, möge Gott mir beistehen!«
»Meiner Ansicht nach wird er einverstanden sein, möge Gott dir beistehen.«
»Aber du wirst es nicht sein?«
»Ich habe dir schon einmal gesagt: Ich bin der einzige Mann auf dieser Erde, dem du völlig vertrauen kannst. Vorausgesetzt, daß du nicht vorsätzlich gegen unser Haus arbeitest.«
»Aber du bist der Ansicht, daß eine solche Heirat gegen die Interessen unseres Hauses verstoßen würde?«
»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, du bist dir über die Gefahren nicht im klaren.« Struan zerdrückte die Zigarre und erhob sich. »Sie ist noch minderjährig. Wärst du bereit, fünf Jahre auf sie zu warten?«
»Ja«, antwortete er, entsetzt von der Länge dieses Zeitraums. »Ja, bestimmt. Du weißt nicht, was sie mir bedeutet. Sie – sie ist das einzige Mädchen, das ich wirklich jemals lieben könnte. Ich werde mich darin nicht ändern, aber das verstehst du nicht, das kannst du gar nicht verstehen. Ja, ich werde fünf Jahre warten, denn ich liebe sie.«
»Und liebt sie dich?«
»Ich weiß es nicht. Ich … sie scheint mich zu mögen. Ich bete darum, daß sie es tut. Lieber Gott im Himmel, was soll ich tun?«
Ich danke meinem Gott, daß ich nicht mehr so jung bin, dachte Struan in einer Anwandlung von Mitleid. Jetzt weiß ich wenigstens, daß die Liebe wie das Meer ist, zuweilen still und zuweilen stürmisch; sie ist gefährlich und schön, holt zu tödlichen Schlägen aus und schenkt Leben. Niemals aber ist sie von Dauer, stets in Wandlung begriffen. Aber einzigartig nur für eine kurze Spanne Zeit.
»Du wirst nichts unternehmen, mein Junge. Aber ich werde heute abend mit Brock reden.«
»Nein«, rief Culum erregt. »Das ist mein Leben. Ich will nicht, daß du …«
»Was du zu tun beabsichtigst, greift sehr wohl in mein und Brocks Leben ein«, unterbrach ihn Struan. »Ich werde mit Brock sprechen.«
»Dann wirst du mir also helfen?«
Struan verjagte eine Fliege von seinem Gesicht. »Was ist mit den zwanzig Guineen, Culum?«
»Bitte?«
»Mein Sarggeld. Die zwanzig Goldmünzen, die Brock mir gegeben hat. Du hast sie damals behalten. Hast du das vergessen?«
Culum wollte schon mit einem Nein antworten, überlegte es sich dann aber anders. »Ja, ich hatte es vergessen. Zumindest war es aus meinem Bewußtsein entschwunden.« In seinen Augen standen seine Unruhe und seine Qual. »Warum sollte ich dich belügen? Fast hätte ich gelogen. Das ist furchtbar.«
»So«, sagte Struan nur. Es freute ihn, daß Culum noch eine Prüfung bestanden und wieder etwas dazugelernt hatte.
»Was ist mit den Münzen?«
»Nichts weiter. Du solltest dich ihrer nur entsinnen. Da hast du den ganzen Brock. Gorth ist schlimmer, weil er nicht einmal die Großzügigkeit seines Vaters besitzt.«
Es war fast Mitternacht.
»Nehmen Sie Platz, Dirk«, sagte Brock und strich sich den Bart. »Rum, Bier oder Branntwein?«
»Branntwein.«
»Branntwein«, befahl Brock dem Diener und machte dann eine Handbewegung auf die Gerichte zu, die im schimmernden Kerzenlicht auf dem Tisch standen. »Greifen Sie zu, Dirk.« Er kratzte sich in den Achselhöhlen, die mit einem Ausschlag bedeckt waren, den Hitzepickeln, wie man sie nannte. »Gottverdammtes Wetter! Warum, zum Teufel, leiden nicht auch Sie wie wir anderen?«
»Ich lebe eben richtig«, antwortete Struan und streckte behaglich die Beine aus. »Wie oft habe ich es Ihnen gesagt. Wenn Sie viermal am Tag baden, bekommen Sie auch keine Hitzepickel. Die Läuse verschwinden und …«
»Das hat doch nichts damit zu tun«, erwiderte Brock. »Wär' reiner Wahnsinn. Gegen die Natur, bei Gott.« Er lachte auf. »Wer da behauptet, Sie sind dem Teufel sein Bordkamerad, hat vielleicht seinen Finger auf die ganz richtige Stelle gedrückt, warum Sie so sind, wie Sie sind. Was?« Er schob seinen leeren Silberkrug, der zwei Liter faßte, dem Diener zu, der ihn sofort aus dem kleinen
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