Tai-Pan
Cunnington nicht nur ein Idiot, sondern auch ein großer Schwätzer ist. Es ist doch unerhört, sich vorzustellen, daß man den Inhalt eines solchen Schreibens zuallererst aus der Presse erfährt.« Dann erzählte er ihm von den Geheimpapieren, die der Bischof ihm übergeben hatte, aber nur so viel, daß er damit Longstaffs lebhaftes Interesse weckte. »Guter Gott!« Wenn es sich, wie der Tai-Pan angedeutet hatte, dabei tatsächlich um eine Kopie eines Geheimberichts mit Karten vom russisch-chinesischen Grenzgebiet und dessen Hinterland handelte, so bedeutete dies den Freibrief zu einer Botschaft und zum Adelstitel. »Wo haben Sie die Sache her?«
»Von einer Persönlichkeit, an deren Zuverlässigkeit nicht im geringsten zu zweifeln ist.« Struan erhob sich. »Vor Ihrer Abreise werde ich Ihnen die Papiere übergeben. Verwenden Sie sie, wie Sie es für richtig halten. Ganz bestimmt geht aus diesen Papieren hervor, daß Sie recht haben und Cunnington unrecht, abgesehen von allem anderen.«
»Wollen Sie mit mir zu Abend essen, Dirk?« Longstaff hatte sich schon seit vielen Jahren nicht mehr so wohlgefühlt. »Dann können wir von alten Zeiten reden.«
»Entschuldigen Sie bitte, nicht heute abend. Wie wäre es mit morgen?«
»Gut. Ich bin froh, daß unser Urteil als richtig bestätigt worden ist.«
»Da wäre noch etwas, um das wir uns sofort kümmern müssen. Etwas ganz anderes. Die Tongs.«
»Die Tongs?«
»Gorth Brock wurde von Tongs aus Hongkong ermordet. Aus Tai Ping Schan.«
»Was Sie nicht sagen! Wie hängt denn das zusammen?«
»Ich weiß es nicht.« Struan berichtete ihm, was ihm der portugiesische Offizier von den Tongs gesagt hatte. Auch das, was Gordon Tschen betraf. Er wußte, daß er Longstaff diese Informationen nicht vorenthalten durfte, damit nach der offiziellen Bekanntgabe nicht der Eindruck erweckt wurde, er wolle seinen Sohn schützen. Wenn Gordon wirklich mit den Tongs unter einer Decke steckte, würde er jetzt mit dieser Sache hochgehen. War es nicht der Fall, war die Angelegenheit ohne Belang.
»Hol mich der Teufel!« rief Longstaff und lachte. »Eine lächerliche Geschichte.«
»Gewiß, von meinen Feinden verbreitet, kein Zweifel. Aber geben Sie eine Proklamation gegen die Tongs heraus, und weisen Sie Major Trent an, gegen sie vorzugehen. Sonst haben wir die verfluchten Mandarine im Nacken.«
»Ein guter Gedanke. Wirklich ausgezeichnet. Ich werde Horatio … verdammt noch mal, ich habe ihm zwei Wochen Urlaub nach Macao gegeben. Darf ich mir Mauss ausleihen?«
»Selbstverständlich. Ich schicke ihn zu Ihnen hinüber.«
Nachdem Struan gegangen war, setzte sich Longstaff in gehobener Stimmung an seinen Schreibtisch. »Mein lieber Sir William«, sagte er zu seinem Glas. »Ich fühle mich herrlich. Wenn man mit der Wahrheit herausrücken dürfte, so möchte ich sagen, daß ich verdammt froh bin, diese stinkige Insel zu verlassen. Ich pfeife drauf, was aus ihr wird – und aus den Chinahändlern, den Chinesen oder diesen dreckigen Tongs.« Er trat an eins der Fenster und lachte in sich hinein. »Wollen mal sehen, was diese geheimnisvolle Mappe alles enthält. Und wenn wir erst wieder in England sind, werden wir alles Weitere beschließen. Ist Cunnington nicht mehr im Amt, können wir uns zu unserem Vorteil hinter Hongkong stellen. Sitzt aber Cunnington noch auf seinem Stuhl, kann ich ihm recht geben und diese Insel als belanglos fallenlassen. Denn ich habe ja die Papiere und damit den Schlüssel zu jedem Schlafzimmer eines Außenministers. Und außerdem eine Menge Tee.« Er brüllte vor Lachen. Vor ein paar Tagen hatte ihn ein privater Abgesandter von Tsching-so aufgesucht, der ihm ausrichten sollte, das Saatgut, um das Horatio gebeten hatte, würde innerhalb von zwei Wochen an ihn verschifft werden. »Ich möchte behaupten, Exzellenz, daß Sie ein gutes Tagewerk hinter sich gebracht haben!«
An Bord der Resting Cloud traf Struan May-may in ihren eigenen Gemächern bereits im Bett an. Sie sah recht wohl aus und sogar kräftiger.
»Ich sehr angenehm glücklich, zu Hause zu sein, Tai-Pan. Da kannst du sehen! Deine alte Mutter gehorcht wie Seemann. Ich habe zwei Tassen Cinchona getrunken und bin bereit zu drei mehr.«
»Wirklich?« fragte er, und sein Argwohn erwachte.
»Natürlich, absolut ja. Und sieh mich nicht so an. Ich die Wahrheit reden! Bin ich etwa eine Hoklo-Hure? Eine Hundefleischbettlerin? Lüge ich etwa mir selber ins Gesicht? Versprechen ist Versprechen, du das nicht
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