Tai-Pan
Bewußtsein.
»Kapitän, ich möchte Ihnen meinen ältesten … meinen Sohn vorstellen, Culum. Culum, das ist unser berühmter Kapitän Glessing, der für uns die Schlacht von Tschuenpi gewonnen hat.«
»Guten Tag.« Glessing drückte ihm höflich die Hand. Culums Hand mit den langen, schlanken Fingern fühlte sich weich an. Sie war ein wenig feminin. Er hat etwas von einem Stutzer an sich, dachte Glessing. Gehrock mit Weste, hellblaue Krawatte und hoher Kragen. Muß Student sein. Seltsam, jemandem die Hand zu geben, der die Indische Seuche gehabt und sie überlebt hat. Ob ich sie wohl überstehen würde? »Das war gar keine Schlacht.«
»Zwei kleine Fregatten gegen zwanzig Kriegsdschunken und dreißig oder mehr Brander? Ist das etwa keine Schlacht?«
»Ein Gefecht, Mr. Struan. Es hätte eine Schlacht sein können …« Wäre nicht dieser gottverdammte Feigling Longstaff gewesen, und Sie, Sie gottverdammter Pirat, hätte er am liebsten gesagt.
»Wir Kaufleute betrachten es als eine Schlacht, Culum«, sagte Struan spöttisch. »Wir kennen den Unterschied zwischen einem Gefecht und einer Schlacht nicht. Wir sind nichts weiter als friedliche Händler. Aber wenn sich die Waffen Englands zum erstenmal mit denen Chinas messen durften, dann darf man wohl von ›Schlacht‹ sprechen. Das war vor einem Jahr. Wir haben als erste geschossen.«
»Und was hätten Sie getan, Mr. Struan? Es war die richtige taktische Entscheidung.«
»Selbstverständlich.«
»Der Generalbevollmächtigte für den Handel war mit meinem Vorgehen völlig einverstanden.«
»Selbstverständlich. Es ist ihm auch nicht viel anderes übriggeblieben.«
»Wärmen Sie alte Schlachten auf, Kapitän Glessing?« fragte Longstaff. Er stand in der Tür zur Kajüte und hatte unbemerkt zugehört.
»Nein, Exzellenz, wir führen nur eine alte Auseinandersetzung fort. Mr. Struan und ich haben, wie Sie wissen, Tschuenpi niemals mit den gleichen Augen betrachtet.«
»Und warum sollten Sie? Wenn Mr. Struan Ihr Kommando innegehabt hätte, wäre seine Entscheidung vielleicht genauso ausgefallen wie die Ihre; wären Sie an Mr. Struans Stelle gewesen, so hätten Sie vielleicht mit Sicherheit angenommen, die anderen würden nicht angreifen, und Sie hätten es darauf ankommen lassen.« Longstaff gähnte und spielte mit seiner Uhrkette. »Was hätten Sie getan, Culum?«
»Ich weiß es nicht, Sir. Ich kenne die Komplikationen nicht, die dabei eine Rolle gespielt haben.«
»Gute Antwort. ›Komplikationen‹ ist das richtige Wort.« Longstaff lachte in sich hinein. »Würden Sie uns bei einem Glas Südwein Gesellschaft leisten, Kapitän?«
»Danke, Sir, aber es ist besser, wenn ich auf mein Schiff zurückkehre.« Glessing grüßte forsch und entfernte sich.
Longstaff führte die Struans in den Besprechungsraum, der zur Unterkunft des Generalbevollmächtigten gehörte. Die Einrichtung war spartanisch zweckentsprechend; die tiefen Ledersessel und die Kartentische, die Kommoden und der schwere Eichentisch waren alle am Boden festgeschraubt. Hinter dem reich geschnitzten Eichentisch lag das Halbrund der pfostenunterteilten Fenster des Achterschiffes. In der Kajüte roch es nach Teer und abgestandenem Tabakrauch, nach Meer und selbstverständlich nach Schießpulver.
»Steward!« rief Longstaff.
Sofort wurde die Kajütentür aufgerissen. »Jawohl, Sir?«
Longstaff wandte sich Struan zu. »Sherry? Branntwein? Portwein?«
»Trockenen Sherry, bitte.«
»Das gleiche bitte für mich, Sir«, sagte Culum.
»Ich nehme einen Portwein.« Wieder gähnte Longstaff.
»Jawohl, Sir.« Der Steward nahm die Flaschen von einer Anrichte und schenkte die Weine in feine Kristallgläser.
»Ist das Ihre erste Reise nach Übersee, Culum?« fragte Longstaff.
»Ja, Sir.«
»Aber ich nehme an, daß Sie über unsere ›Komplikationen‹ aus jüngster Zeit unterrichtet sind?«
»Nein, Exzellenz. Vater hat nicht viel geschrieben, und in den Zeitungen wird China nicht erwähnt.«
»Aber es wird bald der Fall sein, was, Dirk?«
Der Steward hielt das Tablett mit den Gläsern erst Longstaff und dann seinen Gästen hin.
»Sorgen Sie dafür, daß wir nicht gestört werden.«
»Jawohl, Sir.« Der Steward stellte die Flaschen in Reichweite ab und ging hinaus.
»Jetzt wollen wir auf etwas trinken«, sagte Longstaff, und Struan mußte an Robbs Trinkspruch denken. Er bedauerte, daß er zuerst zum Flaggschiff gefahren war. »Auf einen angenehmen Aufenthalt, Culum, und auf eine glückliche
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