Tai-Pan
beraten. Sie sind eben Stellvertretender Kolonialsekretär. Ausgezeichnet. Also diese Angelegenheit wäre erledigt. Stellen Sie fest, was man tun muß und wie, und berichten Sie mir, wie man dem Ganzen einen offiziellen Anstrich geben kann. Machen Sie eine Versteigerung. Ich könnte mir vorstellen, daß das der richtige Weg wäre.« Longstaff füllte erneut sein Glas. »Übrigens fällt mir gerade ein, Dirk, ich habe die Räumung der Insel Tschuschan angeordnet.«
Struan hatte das Gefühl, als drehe sich ihm der Magen um. »Warum haben Sie das getan, Will?«
»Ich habe ein Sonderschreiben von Seiner Exzellenz Ti-sen erhalten. Vor zwei Tagen. Er hat mich darum gebeten, als Zeichen unseres guten Willens.«
»Damit hätten Sie warten können.«
»Er verlangte umgehend Antwort, und es gab keine Möglichkeit, mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen.«
»Umgehend – das kann, nach chinesischer Tradition, alles bedeuten: bis zu einem Jahrhundert.« Ach, Willie, du armer Trottel, dachte er, wie oft muß ich das alles noch erklären? Longstaff fühlte Struans durchbohrenden Blick auf sich ruhen. »Er wollte eine Abschrift des Vertrages an den Kaiser schicken und dabei auch die Tatsache erwähnen können, daß wir die Räumung angeordnet hätten. Wir wollten doch die Insel ohnehin zurückgeben, nicht wahr? Hol's der Teufel, was macht es denn aus, ob das jetzt oder später geschieht?«
»Bei den Chinesen spielt der Zeitpunkt eine sehr große Rolle. Ist der Befehl schon ausgegeben?«
»Ja. Er ging gestern hinaus. Ti-sen war so freundlich, uns die Benutzung des kaiserlichen berittenen Botendienstes mit Wechselpferden anzubieten. Ich habe den Befehl auf diesem Weg übermittelt.«
Hol dich der Teufel, dachte Struan. Du bist ein hoffnungsloser Narr. »Das war sehr unklug, ihre Dienste für unsere Befehlsübermittlung in Anspruch zu nehmen. Wir haben dadurch an Gesicht verloren, und sie haben uns einen Punkt voraus. Es wäre jetzt auch sinnlos, ein Schiff zu schicken.« Seine Stimme war kalt und hart. »Bis es nach Tschuschan kommt, ist die Räumung bereits beendet. Na gut, die Sache ist nun einmal passiert, daran läßt sich nichts mehr ändern. Aber klug war das nicht. Die Chinesen werden das Ganze nur als eine große Schwäche auslegen.«
»Ich hatte geglaubt, dieser Beweis guten Willens sei eine ganz großartige Idee«, fuhr Longstaff fort, bemüht, seine Nervosität zu beherrschen. »Schließlich haben wir alles bekommen, was wir uns wünschten. Der Schadenersatz, den sie zahlen, ist zwar gering – nur sechs Millionen Dollar, aber damit decken wir mehr als nur die Kosten des Opiums, das sie vernichtet haben. Kanton steht dem Handel wieder offen. Und wir haben Hongkong. Endlich.« Jetzt funkelten seine Augen. »Alles verläuft genau nach Plan. Die Insel Tschuschan ist bedeutungslos. Sie sagten einmal, wir sollten sie nur im Notfall nehmen. Aber jetzt haben wir Hongkong. Und Ti-sen sagte, er würde innerhalb eines Monats einen Mandarin für Hongkong ernennen, und sie …«
»Er würde was?« Struan verschlug es den Atem.
»Er würde einen Mandarin für Hongkong ernennen. Was ist los?«
Beherrsch dich, sagte Struan warnend zu sich. Es kostete ihn eine gewaltige Anstrengung. Du hast die ganze Zeit über Geduld gehabt. Dieser unfähige Schwachkopf ist das wichtigste Werkzeug, das du besitzt. »Will, wenn Sie ihm das gestatten, räumen Sie ihm Macht über Hongkong ein.«
»Ganz und gar nicht, mein Lieber, wieso denn? Hongkong ist doch britisch. Der Heide wird hier unter unserer Flagge stehen und unserer Regierung unterstellt sein. Jemand muß sich doch um diese Teufel kümmern, oder etwa nicht? Es muß doch auch jemanden geben, an den man die Zollgebühren abführt. Was wäre dazu besser geeignet als Hongkong? Sie werden ihre eigenen Zollgebäude und Häuser und …«
»Was werden Sie?« Die Worte prallten von den Eichenholzwänden zurück. »Herrgott und Vater, ich hoffe doch, daß Sie dem nicht zugestimmt haben?«
»Ich wüßte nicht, was daran falsch ist, Dirk? Dadurch ändert sich doch nicht das mindeste. Und es spart uns viel Mühe. Wir müssen nicht in Kanton sitzen. Jetzt können wir alles von hier aus regeln.«
Um der Versuchung zu entgehen, Longstaff wie eine Wanze zu zerdrücken, trat Struan an die Anrichte und schenkte sich ein Glas Branntwein ein. Halt dich zurück. Laß ihn jetzt noch am Leben. Es wäre der falsche Zeitpunkt. Du mußt dich seiner noch bedienen. »Haben Sie mit Ti-sen vereinbart, daß er
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