Tai-Pan
Co-hongs als einzige alle Gesuche, Anträge und Beschwerden der ›Barbaren‹ entgegennehmen durften, die dann von ihnen – aber von ihnen allein, an die Mandarine weitergeleitet wurden.
Der Sinn dieser Bestimmungen war, sich uns möglichst weit vom Leib zu halten, uns Schwierigkeiten zu bereiten, aber trotzdem den letzten Penny aus uns herauszuholen. Über noch etwas muß man sich bei den Chinesen im klaren sein: sie lieben das Geld. Aber nur die herrschende Mandschu-Klasse, und nicht etwa alle Chinesen, hatten ihre Vorteile von diesen ›Erpressungen‹. Die Mandschus halten unsere Ideen – Christentum, Parlament, Stimmrecht und vor allem die Gleichheit vor dem Gesetz und vor der Justiz – für revolutionär, gefährlich und schlecht. Aber sie wollen nun einmal unser Silber haben.
Nach den Bestimmungen waren wir wehrlos, unser Handel wurde kontrolliert, und es konnten nach Belieben Erpressungsgelder aus uns herausgeholt werden. Aber trotz allem machten wir Geld.« Er lächelte. »Wir machten eine Menge Geld, und sie auch. Die meisten Bestimmungen verloren durch die Geldgier der Beamten ihre Wirksamkeit. Die wichtigsten allerdings, keine Kriegsschiffe, keine offiziellen Kontakte außer durch die Co-hong-Kaufleute, keine Frauen in Kanton und kein Aufenthalt über den März hinaus und vor September – blieben in Kraft.
Und, was so typisch chinesisch ist, die armen Co-hong-Kaufleute wurden für uns verantwortlich gemacht. Irgendeine ›Komplikation‹, und schon traf sie der Zorn des Kaisers. Was wiederum so völlig chinesisch ist. Die Co-hongs wurden ausgepreßt und werden auch weiterhin ausgepreßt, bis die meisten von ihnen bankrott gehen. Wir besitzen sechshunderttausend Guineen in ihren wertlosen Papieren. Brock hat etwa genausoviel. Nach chinesischem Brauch müssen sich die Co-hongs ihre Stellungen vom Kaiser erkaufen, und man erwartet, daß sie den Oberen immer wieder riesige ›Geschenke‹ machen – fünfzigtausend Taels in Silber am Geburtstag des Kaisers sind das übliche.
Über dem Co-hong sitzt der persönliche Obererpresser des Kaisers. Wir nennen ihn den Hoppo. Seine Aufgabe besteht darin, die Mandarine in Kanton, die Co-hongs und jeden, den er nur zwischen die Finger bekommt, auszuquetschen. Auch der Hoppo hat sich seine Stellung gekauft – er ist übrigens der größte Opiumhändler und macht damit ein Vermögen.
Wenn Sie also einen Mandarin in Hongkong zulassen, führen Sie damit das ganze System hier ein. Der Mandarin wird ein Hoppo sein. Jeder Chinese wird ihm unterstehen. Jeder chinesische Händler, der zu Geschäften nach Hongkong kommt, wird Lizenzen ›kaufen‹ müssen, man wird ihn erpressen, und er wird sich wiederum bei uns schadlos halten. Der Hoppo wird alle vernichten, die uns helfen wollen, und er wird die unterstützen, die uns hassen. Und sie werden damit nicht aufhören, bis sie uns wieder vertrieben haben.«
»Aber warum?«
»Weil sie Chinesen sind.« Struan streckte sich, um seine verkrampften Schultern zu lockern; er fühlte, wie die Müdigkeit in ihm hochkroch. So trat er an die Anrichte und schenkte sich noch einen Branntwein ein. Könnte ich nur einmal für ein paar Stunden ein Chinese sein, dachte er erschöpft. Dann wäre ich in der Lage, von irgendwoher ohne jede Schwierigkeit eine Million Taels herbeizuzaubern. Wenn das die Lösung ist, sagte er zu sich, dann versuch doch, wie ein Chinese zu denken. Du bist der Tai-Pan der ›Barbaren‹, der Mandarin mit grenzenloser Macht. Was ist der Sinn der Macht, wenn du sie nicht dazu verwendest, dem Joss so hart zuzusetzen, daß er dir hilft? Wie aber kannst du deine Macht einsetzen? Wer hat denn eine Million Taels? Wen kannst du so unter Druck setzen, daß du sie bekommst? Wer ist dir Dank schuldig?
»Was sollen wir tun, Dirk? Ich meine, ich gebe Ihnen da völlig recht«, sagte Longstaff.
»Am besten, Sie senden Ti-sen umgehend eine Botschaft. Erklären Sie ihm … nein, befehlen Sie ihm …«
Struan hielt jäh inne. Nun sah er wieder klar. Seine Müdigkeit war verschwunden. Du bist ein törichter, geschwätziger Aufschneider, der seiner Sinne nicht mehr ganz mächtig ist! Ti-sen! Ti-sen ist die Lösung für dich. Ein Mandarin. Mehr brauchst du gar nicht zu tun. Zwei simple Schritte genügen: zunächst Longstaffs Vereinbarung mit ihm widerrufen, da sie ohnehin widerrufen werden muß; zweitens in ein paar Wochen Ti-sen heimlich das Angebot machen, daß du bereit bist, für eine Million in Silber Longstaff dazu zu
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