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Taken

Taken

Titel: Taken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Bowman
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werden. Und wenn sie keine Leichen finden, werden vielleicht alle …«
    »Nein«, sagt Blaine.
    »Das weißt du doch nicht.«
    »Das Video … Darin hieß es, dass der Orden, wenn er einen Mauerkletterer rettet, einen Gefangenen als Ersatz benutzt. Wenn man einen Verbrecher von ähnlichem Körperbau im Äußeren Ring aussetzt, kann man sicher sein, dass in Claysoot eine Leiche auftaucht.«
    Ich denke an das zweite Auto, das auf dem Hügel wartete, als Marco Emma und mich gefunden hat. Es ist davongefahren, aber nicht in dieselbe Richtung wie wir. Sein Fahrer hatte noch etwas anderes zu erledigen. »Wahrscheinlich ist das vernünftig«, sage ich. »Wenn Emma und ich die Ersten sind, die jemals gerettet wurden und es ihnen im Allgemeinen schwerfällt, Mauerkletterer zu retten, dann bleibt Claysoot wohl besser, wie es ist, bis Frank eine Lösung findet.«
    »Oder bis er Harvey in die Finger bekommt.«
    »Genau.«
    Ich lächle, und Blaine lächelt ebenfalls, aber aus irgendeinem Grund fühlt es sich nicht richtig an. Sind wir noch dieselben Brüder, wenn wir nicht von einer Mauer umgeben sind und auf Straßen aus gestampftem Lehm stehen? Bei dem Gedanken fühle ich mich erschöpft.
    »Ich bin wirklich müde«, sage ich. »Ich glaube, ich muss mich hinlegen.«
    »Sicher. Ich komme später zu dir, dann können wir einander erzählen, was inzwischen passiert ist.« Er wendet sich zum Gehen. »Es tut mir leid, Gray«, setzt er noch hinzu. »Wegen der Sache, dass wir Zwillinge sind. Wirklich.«
    Ich könnte seine Entschuldigung annehmen, aber ich tue es nicht. »Ich weiß«, sage ich, und dann gehe ich weiter.
    Als ich durch den Speisesaal zurückgehe, schlagen die Zweifel über mir zusammen wie eine Woge. Die Chance, dass Frank eine Lösung findet oder Harvey gefangen nimmt, erscheint mir so verschwindend gering, so unwahrscheinlich. Ich will nach Hause. Nie hätte ich gedacht, dass ich so etwas sagen würde, aber ich möchte nur noch zurück nach Claysoot, wo alles einfach war. Wo mein Verhältnis zu Blaine unkompliziert war, wo ich eine Zukunft mit Emma hatte. Die Unwissenheit hat alles leichter gemacht.
    Ich verlasse den Saal auf dem Weg, auf dem ich gekommen bin, und dränge mich durch eine Gruppe Menschen, die auf dem Weg zum Frühstück sind. Gedankenverloren halte ich den Kopf gesenkt, doch dann fasst mich jemand am Arm.
    »Gray?«
    Emma steht vor mir. Ihre Haare sind so gründlich ausgebürstet, dass sie vollkommen glatt wirken. Damit sieht sie merkwürdig förmlich aus. Jedes Gefühl, das ich je für sie empfunden habe, überwältigt mich: Liebe, Freude, Schmerz, Begehren, und alles gemischt mit Erleichterung.
    »Du hast mir gefehlt«, sagt sie. Sie ist ganz in Weiß gekleidet: Hosen, die unbequem eng aussehen, und ein Oberteil, das flattert, wenn sie sich bewegt, und fast so flüssig wie Wasser wirkt. Etwas an ihr hat sich verändert. Ihre Augenbrauen sind mit einem Mal zu schmal, und ihre Haut schimmert zu stark. Auch an ihrem Gesicht ist etwas Merkwürdiges, als wären all ihre Züge mit einem feinen Pinsel hervorgehoben worden.
    »Was haben sie mit dir gemacht?«, frage ich. Ihre Lippen sind dunkel und mit einer zu gleichmäßigen und auffälligen Farbe bemalt. Sogar ihre Augen, von denen ich dachte, sie nie vergessen zu können, scheinen von dunklen Schatten umgeben zu sein.
    Sie stöhnt. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, aber ich habe das Gefühl, drei Lagen Ruß auf dem Gesicht zu haben, und gleichzeitig scheinen auf jedem anderen Zentimeter meines Körpers drei Schichten Haut zu fehlen. Wenigstens haben sie nicht darauf bestanden, dass ich Schuhe mit Absätzen trage. Darin bin ich ohnehin immer gestolpert.« Sie weist auf das Paar flacher weißer Schuhe an ihren Füßen und wirft sich dann in meine ausgestreckten Arme.
    »Wir müssen verschwinden, Gray«, flüstert sie mir ins Ohr. »Hier stimmt etwas nicht. Diese Leute sagen uns nicht alles. Ich traue ihnen nicht.« Ihre Haare unter meinem Kinn riechen verbrannt.
    »Sie haben dir nicht von Harvey erzählt?« Sie hebt den Kopf von meiner Schulter und runzelt die Stirn, was ich als Nein deute. »Ich bin Frank begegnet. Er konnte mir einige Fragen beantworten.« Mein Magen knurrt hörbar und mir wird klar, dass ich seit Stunden nichts gegessen habe. Schlafen kann ich später. »Ich erzähle dir alles beim Frühstück.«
    »Hey, Romeo!« Marco kommt den Gang entlanggeschlendert, und Emma und ich lösen uns voneinander. »Ich muss dich kurz ausleihen.«

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