Taken
eigentlich Hoffnung machen müsste. Hier passt etwas nicht zusammen.
Sekunden, nachdem ich geklopft habe, öffnet Emma ihre Tür. Ihr Zimmer hat Fenster auf der entgegengesetzten Seite, durch die sie von hinten angeleuchtet wird. Ihre Haare, die feucht vom Duschen sind, hängen ihr auf die Schultern. Sie zittert nicht mehr.
»Weißt du noch, wie ich gesagt habe, Wände könnten reden?«
Sie nickt.
»Unten in der Nähe der Krankenstation liegt ein Gang, der ›nur für befugtes Personal‹ bestimmt ist. Das habe ich gesehen, als Marco mich zur Säuberung gebracht hat. Ich vermute, Wände dieser Art wissen mehr als andere.«
Sie sieht mich argwöhnisch an. »Für mich hört sich das nach Dingen an, mit denen man nicht herumspielen sollte, wenn man nicht zum befugten Personal gehört. Vielleicht solltest du mit Frank reden. Er scheint dich zu mögen.«
»Habe ich schon. Und das stimmt. Aber er mag mich, weil ich dem Raub entkommen bin, nichts weiter.«
»Einverstanden«, sagt Emma und tritt in den Gang hinaus. »Wonach suchen wir dieses Mal?«
»Nach einer Bibliothek.«
Sie hält inne. »Warum?«
Ich werfe einen Blick über die Schulter. Wir sind allein, aber ich spreche trotzdem leiser. »Weil wir nicht alle Einzelheiten erfahren, ganz gleich, wie viele Fragen ich stelle. Aber Bibliotheken sind voller Details. Dieser Ort ist um ein Vielfaches größer als Claysoot, und sogar wir hatten ein Gebäude mit historischen Aufzeichnungen und Fakten. Irgendwo in Taem muss es Schriftrollen oder Bücher geben.«
Emma sagt nichts, reicht mir aber die Hand. Ich nehme sie, und die Suche beginnt.
Als wir zu dem Gang kommen, hat Emma erneut zu zittern begonnen. Immer wieder sehe ich über die Schulter, aber niemand ist uns gefolgt. Ich mache mir nicht einmal die Mühe, es mit meinem Handgelenk an der silbernen Box neben der Tür zu versuchen, denn ich weiß, dass wir hier keinen Zutritt haben. Stattdessen betrachte ich ein Gerät mit einem Griff an der Wand, das die Aufschrift Im Brandfall ziehen trägt. Was immer dann passiert, wird wahrscheinlich irgendeine Ablenkung schaffen. Kurz zögere ich und frage mich, ob es eine andere Möglichkeit gibt. Aber Emma nickt aufmunternd und ich denke daran, dass ich bis jetzt immer nur Erklärungen bekommen habe, wenn ich meinem Bauchgefühl gefolgt und selbst auf die Jagd nach der Wahrheit gegangen bin. Bevor ich es mir anders überlegen kann, strecke ich die Hand aus und ziehe an dem kleinen Griff. Eine Folge von Alarmtönen hallt durch den Korridor, und aus der Decke spritzt Wasser.
Wir werden ganz bestimmt erwischt.
Eine Gruppe Ordensmitglieder stürzt aus der zuvor geschlossenen Tür, aber wundersamerweise gönnen sie uns keinen Blick. Sie rennen in trockenere Gänge und halten sich Papiere über den Kopf, um sich zu schützen. Bevor die Tür hinter ihnen zugleitet, schlüpfen Emma und ich unbemerkt hindurch.
Der Korridor dahinter ist schlecht beleuchtet, lang und schmal. Der Boden ist tiefblau, zusammen mit dem Löschwasser, das von der Decke regnet, erzeugt das eine unheimliche Stimmung, als befände man sich unter einer Wasseroberfläche. Der Alarm gellt endlos weiter. Zitternd tastet Emma nach meiner Hand und verflicht ihre Finger mit meinen.
Wir kommen an einer Reihe von Büros und Versammlungsräumen vorbei. Ihre Türen sind verschlossen, aber jede hat ein Fenster, durch das wir Stühle und Tische sehen können. Am Ende des Gangs befindet sich eine einzelne Tür, deren Fenster mattiert ist, sodass alles, was sich dahinter befindet, verzerrt erscheint. Eines erkennen wir allerdings, nämlich eine Gestalt, die sich auf der anderen Seite bewegt. Der Schatten wird größer. Er kommt auf uns zu und wird gleich auf unseren Flur treten.
Ich ziehe an Emmas Hand, und wir springen beiseite und probieren hektisch die Bürotüren aus. Gerade, als die Tür am Ende des Gangs sich zu öffnen beginnt, finde ich einen Türknauf, der sich drehen lässt, und Emma und ich stürzen in einen Raum. Keuchend drücken wir uns an die Wand. Ich spähe durch das Türfenster. Eine Gestalt rennt den Flur entlang.
Ich hole tief Luft. »Ich glaube, wir sind sicher.«
Emma seufzt erleichtert, und als das Wasser auf dem Gang zu regnen aufhört, erkunden wir das Büro. Wir befinden uns in einem einfachen Versammlungsraum. Ein langer Tisch ist von Stühlen umgeben und mit eigenartig aussehenden Büchern bedeckt. Die Seiten darin sind nicht mit dem Buchrücken vernäht, sondern liegen einfach in ihren
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