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Taken

Taken

Titel: Taken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Bowman
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Mauer. Die Ordensmänner sind unterwegs, ich höre sie rufen.
    »Bitte«, fleht der Dieb. »Wir brauchen das Wasser.«
    »Anscheinend brauchen das alle.«
    »Was haben Sie schon für eine Ahnung?«, sagt er mit einem Blick auf meine Uniform. »Sie leben in diesem Palast und führen die Befehle eines korrupten Mannes aus.«
    Der erste Ordensmann biegt um die Ecke, und der Mann zappelt in meinem Griff.
    »Bitte. Mein Sohn ist erst fünf. Es ist noch Zeit. Lassen Sie mich einfach laufen. Sagen Sie ihnen, dass ich auf Sie eingestochen, Sie getreten habe. Oder Ihnen ins Auge gespuckt.«
    Beinahe tue ich es. Seine Worte klingen so aufrichtig, dass ich fast sein Hemd aus den Fingern gleiten lasse. Aber dann sehe ich vor meinem inneren Auge wieder, wie Emma stürzt, nachdem der Dieb sie mit der Schulter beiseitegestoßen hat. Ich halte sein Hemd noch eine Sekunde fest, und dann taucht ein Ordensmitglied auf und drückt den Dieb gegen die Mauer. Ich sehe, wie seine Wange über den Backstein kratzt, während seine Hände gefesselt werden; nicht mit einem Strick, sondern mit einer eigenartigen Kette aus metallenen Gliedern, von denen zwei um seine Handgelenke zuschnappen.
    »Umdrehen«, befiehlt der Ordensmann. Als der Dieb nicht gehorcht, wird er gestoßen. Heftig. Er schlägt sich den Kopf an der Wand an. Frisches Blut läuft ihm in die Augenbrauen, während er weiterbettelt.
    »Bitte. Wir brauchen es. Sie verstehen das nicht.«
    »Umdrehen.«
    »Ich tue alles, was Sie wollen. Lassen Sie mich nur zuerst meiner Familie das Wasser bringen.«
    »Sofort!«
    Der Dieb dreht sich mit dem Rücken zur Mauer. Er weint jetzt, und Blut mischt sich in seine Tränen. Das Ordensmitglied tritt zurück und richtet die Waffe auf ihn.
    Und dann folgt eine Explosion, die so laut ist, dass mein Kopf davon vibriert, und die noch eine Ewigkeit nachhallt. Ich blinzle, und als ich die Augen wieder öffne, liegt der Dieb am Boden, tot. Aber ich sehe weder Pfeil, Speer oder Messer. Nichts. Nur ein klaffendes Loch. Ich starre seinen blutüberströmten Schädel an und dann drehe ich mich zur Mauer um und beginne zu würgen.
    Den ganzen Rückweg über zittert Emma. Sie weint nicht, aber wenigstens reagiert sie besser als ich. Sie zeigt Angst, Reue, Erschütterung, irgendetwas . Ich dagegen starre ausdruckslos vor mich hin und frage mich, was in aller Welt passiert ist, und ob ich irgendwie die Schuld daran trage. Alle wollten Wasser, und alle haben in der Schlange gewartet. Er hat etwas gestohlen. Er war ein Dieb. Aber hat er es verdient, wegen eines Kanisters Wasser zu sterben?
    Ich behalte meine Gedanken für mich, denn ich fürchte, wenn ich sie laut ausspreche, könnte Emma neben mir zusammenbrechen. Auf dem Rückweg nach Union Central halte ich den Arm um sie geschlungen, während das Blut an ihren Hosen trocknet. Ich bringe sie zu ihrem Zimmer, das zufällig auf derselben Etage wie meines liegt, nur in einem anderen Flügel, und gehe dann geradewegs zu Franks Büro. Dort hämmere ich an die Tür, bis jemand kommt und mir erklärt, Frank habe keine Zeit, mit mir zu reden. Ich verlange ihn zu sehen. Die Männer fordern mich zum Gehen auf. Ich beharre weiter darauf.
    Schließlich sitze ich, die Arme vor der Brust verschränkt, auf dem Boden vor seinem Arbeitszimmer. Kurz nicke ich ein und erwache davon, dass jemand mit dem Fuß meine Rippen anstößt.
    »Gray.« Frank steht über mir. Er hält einen Stapel Dokumente in der Hand.
    Ich rapple mich auf. »Ich muss mit Ihnen reden.«
    »Habe ich schon gehört. Ich habe nur kurz Zeit, aber komm bitte herein.«
    Wir setzen uns an seinen Schreibtisch, und als er die Papiere darauflegt, wirkt plötzlich alles fehl am Platz, als hätte dieser eine unorganisierte Stapel den ganzen methodisch eingerichteten Raum durcheinandergebracht. Frank lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, legt die Finger zusammen und vollführt diese beruhigende Wellenbewegung. »Also, Gray«, sagt er. »Wie kann ich dir behilflich sein?«
    »Heute war da ein Mann, in der Stadt. Er wurde …«
    »Erschossen«, beendet Frank meinen Satz.
    »Aber ich habe keinen Pfeil gesehen.«
    »Das stimmt. In Claysoot habt ihr Bögen, oder? Ihr verschießt Pfeile?«
    Ich nicke.
    »Beim Orden tragen wir Pistolen. Wir schießen mit Kugeln.« Er schiebt sein Hemd hoch und zieht etwas aus seinem Gürtel. Es ist viel kleiner als die Waffen, die die anderen Männer auf dem Platz getragen haben. Frank richtet es von uns weg, lässt eine schmale Box aus dem

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