Taken
hellen Einbänden. Emma nimmt das oberste, auf dem »Operation Frettchen« steht, und schlägt es auf. Darin befindet sich das gleiche, vielleicht gezeichnete Bild, mit dem ganz Taem zugepflastert ist. Diese Version enthält zusätzliche Informationen.
»Zielperson: Harvey Maldoon«, steht da. »55 Jahre, weiß, ein Meter achtzig. Braunes Haar, braune Augen. Brillenträger, kurzsichtig.« Letzteres muss sich auf dieses Gestell beziehen, das seine Augen umgibt und auf der Nase ruht. Ich frage mich, ob es eher dazu dient, seine Sehkraft zu verstärken, als seine Augen zu schützen, wie ich ursprünglich angenommen habe. »Lebend festzunehmen.«
Wir sehen einander an und ziehen uns dann eilig Stühle heran.
Emma blättert zur nächsten Seite des ungebundenen Buchs. Eine Karte. In Claysoot hatten wir auch eine, die das Stadtzentrum und die Wälder der Umgebung aus der Vogelperspektive darstellte. Bo Chilton hatte sie gezeichnet, bevor er geraubt wurde. Diese Karte hier zeigt Taem und ein großes Gebiet voller Bäume, das als »Großer Wald« bezeichnet ist, nördlich der Stadt. Tief im Wald, fast an seinem nördlichsten Ausläufer, liegt ein ausgedehntes Gebirgsmassiv. Einer der Berge trägt die Aufschrift »Mount Martyr«. Jemand hat die Schrift eingekreist und in Rot »möglicherweise Rebellenhauptquartier« danebengekritzelt. Mehrere Teile des Waldes, der sich bis zu den Bergen erstreckt, sind mit Pfeilen markiert.
Andere Seiten beinhalten Berichte von Kundschaftern über Orte und Gebiete, wo Harvey angeblich gesehen worden ist. Wir lesen sie nicht alle, es sind viel zu viele.
»Ich hoffe, sie fangen ihn«, sagt Emma, als sie die Akte zuschlägt.
»Ich auch.«
Die anderen Akten sind dünner. In jeder liegen mehrere Blätter Papier mit ähnlichen Texten. Die Buchstaben wirken gestochen scharf, einheitlich und zu exakt, um handgeschrieben zu sein.
Emma hält mir eine der Seiten hin. Darauf befindet sich das Bild eines Jungen, der ungefähr mein Alter hat. Er lässt ein wenig den Kopf hängen, aber seine Augen sind trotzig zusammengezogen. »Elijah Brewster« steht darunter. »Rebell.« Emma fährt mit dem Finger über das Wort.
»Ich habe gehört, dass Harvey außerhalb der Stadt Gefolgsleute – Rebellen – sammelt«, erkläre ich ihr. »Er arbeitet mit ihnen zusammen, um geheime Informationen an AmWest weiterzugeben.«
»Warum sollte jemand Harvey helfen wollen?«, fragt Emma und verzieht angewidert die Lippen.
»Hier, schau.« Ich zeige auf einen Absatz in den Aufzeichnungen über Elijah.
Brewster ist vermutlich einer der ersten Rebellen. Der Gesuchte ging in die Wälder, nachdem der Laden seines Vaters niederbrannte. Schwester wurde verhört, erfolglos. Brewsters genauer Aufenthaltsort ist unbekannt. Stellt vermutlich in Verstecken innerhalb des Großen Waldes Rebellentruppen auf. Brewster sofort erschießen.
»Merkwürdig«, denke ich laut. »So, wie Frank es erzählt hat, hörte es sich an, als habe Harvey die Rebellion begonnen. Aber hier … klingt es, als wäre das Elijah gewesen.«
Unter dem Absatz ist Elijahs Familie aufgeführt. Seine Mutter wird als verschieden bezeichnet, sein Vater und seine Schwester als hingerichtet . Ich rutsche unbehaglich auf meinem Stuhl herum.
»Hingerichtet?«, wiederholt Emma. »Heißt das, Frank … der Orden …«
Noch einmal sehe ich auf die Worte. Verschieden bedeutet wohl, dass die Mutter einfach gestorben ist, aber hingerichtet … »Ich glaube, sie haben sie getötet, seinen Vater und seine Schwester. Wahrscheinlich hat Elijah etwas Schlimmes getan und deswegen haben sie seine Familie getötet.«
»Wie den Dieb heute?«
»Vielleicht.«
Wir sehen die übrigen Papiere durch. Sie enthalten ähnliche Geschichten. Manche der Menschen werden als Rebellen und Verräter bezeichnet, bei anderen steht, dass sie hingerichtet wurden. Aber alle haben etwas gemeinsam: Sie sind Ziele. Frank will sie alle tot sehen.
Manchmal ist eine Hinrichtung gerechtfertigt, finde ich. In all den Jahren, die Claysoot jetzt existiert, ist das nur einmal vorgekommen. Ich habe in den Schriftrollen davon gelesen. Ein Junge namens Jeq Warrows wurde vor Eifersucht verrückt. Er war erst sechzehn und völlig außer sich, weil das Mädchen, das er bewunderte, seine Zuneigung nicht erwidern konnte. Sie hatte nur Augen für jemand anderen und sorgte ständig dafür, dass sie ihm zugeteilt wurde. Eines Abends schlich sich Jeq in die Wohnung dieses Jungen und versuchte, ihm die Kehle
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