Taken
solltet gehen. Jetzt.«
Kugeln fliegen auf den Felsbrocken zu. Mit einem Mal geht mir auf, dass das vielleicht das Ende ist, dass ich die heutige Nacht möglicherweise nicht überlebe, nicht nach Taem zurückkehren und Emma niemals sagen kann, was ich wirklich für sie empfunden habe. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass sie unendlich fern von mir ist, unwiederbringlich verloren.
»Wenn du es zurück nach Taem schaffst, sag Emma, dass ich sie holen komme. Und dass ich sie liebe. Kannst du ihr das sagen?«
Falls Craw verblüfft ist, dieses Wort zu hören, lässt er sich nichts anmerken. Er nickt – eigentlich reckt er nur kurz das Kinn – und beugt sich dann wieder über den Felsen. Mit der Waffe zielt er in die Finsternis und spricht, ohne mich anzusehen. »Geht. Sofort«, befiehlt er. »Ich gebe euch Deckung.«
Ich hebe Blaine so hoch, dass ich mit den Armen besser unter seinen Schultern hindurchgreifen kann, und dann renne ich, sobald Craw das Feuer eröffnet.
20. Kapitel
Die Nacht verbringe ich in einer dunklen Höhle an einer kleinen Anhöhe. Ich mache Feuer und kümmere mich um Blaine, so gut es eben geht. Da ich Angst habe, die Blutung nicht stoppen zu können, ziehe ich den Pfeil nicht heraus. Stattdessen breche ich ihn knapp über der Wunde ab. Er zuckt zusammen. Mit dem wenigen Wasser, das sich noch in meiner Feldflasche befindet, wasche ich das Blut ab. Er knurrt. Dann wickle ich Verbände aus meinem Bündel um den Rest des Pfeilschafts. Rasch sind sie dunkelrot vor Blut.
»Ich komme schon wieder in Ordnung«, sagt er immer wieder. Ich nicke.
Ich war dabei gewesen, zu den Rebellen zu fliehen, und dann haben sie meinen Bruder angeschossen. Vor meinen Augen hebt und senkt sich seine Brust unregelmäßig. Ich habe Blaine schon einmal verloren. Das darf nicht wieder geschehen.
Am nächsten Morgen ist Blaine noch schwächer. Ich folge meinen Fußspuren zurück zum Lager, wobei er sich schwer auf meine Schulter stützt. Von der Mission ist nur noch ein wildes Durcheinander aus Planen und Asche übrig, das in einem dichten Nebel kaum zu erkennen ist. Die Feuergrube ist verwüstet, und die meisten Zelte sind schwelend in den Boden getreten. Es gelingt mir, eines davon zu retten, und ich fertige daraus eine riesige Schlinge, in die ich Blaine lege, sodass ich ihn hinter mir herziehen kann. Ich bin zornig auf die Rebellen, weil sie Blaine das angetan haben, aber es wäre töricht von mir, wenn ich nicht trotzdem zu ihnen weiterziehen würde. Ich brauche Harvey, und in Taem erwartet mich nur die Hinrichtung. Außerdem benötigt Blaine dringend ärztliche Hilfe.
In dem zerstörten Lager zähle ich sieben Tote. Ich habe das Gefühl, sie begraben zu müssen, aber ich habe keine Zeit dazu. Stattdessen zerre ich die sterblichen Überreste auf ein noch rauchendes Zelt und zünde sie an. Ein Schwarm schwarzer Krähen, die ärgerlich sind, weil ich ihnen ihr Frühstück verdorben habe, lauert über uns, als wir das Lager verlassen. Den größten Teil des Vormittags folgen sie uns, ziehen tiefe Kreise und krächzen unheimlich, während sich der Nebel auflöst.
Ich wende mich gen Norden und zähle im Lauf des Tages fünfzehn tote Ordensmänner. Über die Hälfte von Evans Team ist gefallen. Das wenige Wasser, das ich noch habe, gebe ich Blaine. Ich muss ihm den Mund aufhalten, damit ich ihm die Flüssigkeit einflößen kann.
An diesem Abend fange ich ein Kaninchen zum Abendessen. Ich versuche Blaine zu füttern, aber er bekommt das Fleisch nicht herunter. Am nächsten Morgen geht mir das Wasser aus, und ich bin gezwungen, in dem vergeblichen Versuch, meinen Durst zu stillen, Tau zu schlürfen, der sich in Blättern angesammelt hat.
So geht es Tag für Tag weiter. Ich ziehe Blaine hinter mir her. Wir essen, was ich fange. Ich versuche, uns mit Wasser zu versorgen. Nachdem Blaine den größten Teil eines Tages immer wieder ohnmächtig geworden ist, beginne ich die Hoffnung zu verlieren. Der Durst setzt mir zu. Manchmal meine ich, einen Rebellen oder Craw vor mir zu sehen, und dann blinzle ich, und da ist nichts. Ich gehe weiter nach Norden, aber mit jeder Stunde, die vergeht, komme ich langsamer voran. Nacht und Tag verschwimmen miteinander, und ich kann Nord und Süd nicht mehr unterscheiden. Ich könnte mit Blaine ebenso gut in einem großen Kreis gehen und würde es nicht bemerken. Mein Kopf schmerzt, und meine Kehle brennt so schrecklich, dass ich fürchte, sie könnte Feuer fangen.
Vielleicht werde ich nie
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