Taken
hebt und senkt sich im Schlaf langsam. Er hängt an einer Art Maschine mit Schläuchen, die sich in seinen Arm bohren.
Ich strecke eine Hand aus und nehme seine. Sie fühlt sich schwer und steif an wie bei einer Statue.
»Es geht ihm besser, auch wenn er nicht so aussieht.« Eine junge Krankenschwester steht hinter mir. Ich hatte nicht bemerkt, dass noch jemand wach ist.
»Wissen Sie, wie lange er noch in diesem Zustand sein wird? Wann wird er aufwachen?«
Sie schüttelt den Kopf. »Es könnte einen Tag dauern, oder Monate. Das kann man unmöglich beurteilen.«
Monate? Was, wenn er für immer so daliegt? Wenn er nie wieder aufwacht? Ich lasse seine Hand los und kann ihn nicht ansehen. Es ist, als müsse ich erneut zuschauen, wie Emma in Franks Gefängnis verschleppt wird. Ich möchte nicht wieder in einer Situation sein, in der ich ohnmächtig bin und nichts ändern kann.
Ich eile zum Ausgang, aber die Schwester ruft mir etwas nach.
»Sie sollten wiederkommen und mit ihm sprechen. Ich glaube, das hätte er gern.«
Ich sehe Blaine ein letztes Mal an und gehe dann ohne ein weiteres Wort. Danach kann ich noch ein wenig schlafen, obwohl ich nicht weiß, wie ich das fertigbringe. Der Gedanke, Blaine noch einmal zu verlieren, für den Rest meines Lebens nur noch die Hälfte meiner selbst zu sein, bereitet mir Grauen. Während meines traumlosen Schlafs schwitzen meine Handflächen.
Am nächsten Morgen erwartet mich ein Training, das ich kaum bewältigen kann. Nach einem Frühstück aus Schleimsuppe und Tee begleitet Bree mich in den Konditionierungsraum, einen abgeschlossenen, weiträumigen Trainingssaal am Ende eines Tunnels, in dem die Quartiere der Kommandanten untergebracht sind. Er besitzt eine Kletterwand, Zielscheiben, die von der Decke hängen, und eine Reihe von Treppen und Plattformen, die zu erklettern ich keine Lust habe.
Bree lässt mich zum Einführungstraining bei Elijah zurück und geht zu einer Trainingseinheit für Fortgeschrittene, die von meinem Vater geleitet wird. Er winkt mir aufmunternd zu, wendet dann aber seine Aufmerksamkeit wieder seiner Gruppe zu, als fühle er sich bei dieser Zuneigungsbezeugung töricht oder unbehaglich.
Elijah lässt uns mit einem übermäßig langen Lauf beginnen. Er folgt einem auf dem Boden vorgezeichneten Pfad, der eine lang gezogene Schleife durch den Raum beschreibt. Nach der zweiten Runde bekomme ich Seitenstiche, halte aber durch. Ich richte meine Gedanken auf Emma und gelobe mir, während ich renne und mir große Mühe gebe, den Krampf in meinem Unterleib zu ignorieren, dass ich sie um jeden Preis holen werde.
Ein Dutzend Runden später fühlen sich meine Beine wie Gelee an, aber Elijah ist noch lange nicht fertig mit uns. Nach einer Reihe von Übungen, die er Liegestütze, Kniebeugen und Ausfallschritte nennt, wenden wir uns der Felswand zu. Er befiehlt uns, in alle Richtungen zu klettern: von oben nach unten, seitwärts und diagonal. Jeder Durchgang kostet mich mehr Anstrengung und Konzentration als der vorherige, meine Muskeln werden schwach, und es fällt mir schwerer, mit den Füßen Halt zu finden. Als wir zu einer Übung fortschreiten, die Elijah als Selbstmord bezeichnet – unterschiedlich lange Sprints –, habe ich jedes Gefühl in den Beinen verloren, und als Elijah Bogen und Pfeile austeilt, kann ich kaum noch stehen, ohne dass meine Knie aneinanderschlagen.
Wenigstens das Schießen ist angenehm. Die beweglichen Ziele, die über uns hinweggleiten, wirken fast realistisch. Obwohl meine Arme müde vom Klettern sind, gelingt es mir, neun meiner zehn Ziele zu treffen. Ausnahmsweise überflügle ich die anderen aus meiner Gruppe mit Leichtigkeit. Ganz gleich, wie lange ich keinen Bogen mehr benutzt habe, wird es mir immer in Fleisch und Blut liegen, einen Pfeil gerade abzuschießen. Meine Hände sind nicht in der Lage, die exakte Spannung der Sehne vor dem Schuss zu vergessen, oder wie ich mein Ziel anvisieren und nach dem Schuss ausatmen muss.
Wir beenden das Training mit einem letzten Lauf um den Raum, und als wir fertig sind, sacke ich auf dem Boden zusammen. Sobald meine Lungen zu brennen aufhören und ich endlich atmen kann, ohne zu keuchen, setze ich mich auf und stelle fest, dass die anderen aus meiner Gruppe bereits gegangen sind.
»Du hast dich heute gut geschlagen«, meint Elijah, während er die Bögen zurück in einen Schrank stapelt. Er wirkt zu jung, um eine Rebellion angezettelt zu haben. »Du hast mitgehalten, und das bei
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