Taken
jetzt?«
»Soweit ich weiß, in Ihrem Krankenhaus. Man sagt mir, er liege im Koma.«
So geht es noch lange weiter, viel zu lange. Eine Frage nach der anderen über meine Vergangenheit, meine Zeit in Taem, meine Reise durch den Großen Wald und nach Crevice Valley. Als Harvey schließlich zum Ende zu kommen scheint, schallt eine Stimme durch den Raum, die durch eine mir unbekannte Technik verstärkt wird.
»Fragen Sie ihn etwas Persönlicheres«, verlangt sie. Fallyn.
»Er hat sich ziemlich gut geschlagen«, erklärt Harvey und lächelt mir aufmunternd zu. »Sie übertreibt es gern«, flüstert er.
»Das ist mein Ernst, Harvey. Fragen Sie ihn etwas, das der Orden nicht wissen kann.«
Harvey sieht einen Spiegel an, der die ganze Wand einnimmt, und irgendwie habe ich das Gefühl, das Fallyn von seiner Rückseite aus zusieht.
»Tun Sie ihr einfach den Gefallen«, sagt eine zweite Stimme. Sie gehört Ryder.
»Dann brauche ich bei den Fragen ein wenig Hilfe.« Frustriert seufzt Harvey.
Als Nächster spricht mein Vater. »Was für ein Spielzeug habe ich dir und deinem Bruder hinterlassen, bevor ich geraubt wurde?«
»Eine Holzente auf Rädern.«
»Wie viele Stufen hat die Treppe zum Ratsgebäude?«
»Sechsunddreißig.«
»Warum ist Emma dir über die Mauer gefolgt?«
Ich halte eine Sekunde inne. Das ist eine schwierigere Frage. »Sie wollte Antworten, genau wie ich.«
»Wer in aller Welt ist Emma, und warum spielt sie eine Rolle?«, fragt Fallyn verdrossen.
Ihre Bemerkung verärgert mich, ja, sie macht mich sogar wütend. »Sie spielt eine Rolle, weil ich daran schuld bin, dass sie jetzt in Franks Gefängnis sitzt. Sie ist wunderbar und sanft und willensstark, und ich habe sie im Stich gelassen. Ich liebe sie, und trotzdem bin ich davongelaufen, um zu überleben.«
Harvey wirft dem Spiegel ein süffisantes Lächeln zu. »Also, jetzt brauchen wir wirklich keine weiteren Fragen mehr zu stellen«, verkündet er. »Wir wissen alle, dass Duplikate nicht lieben können. Ganz zu schweigen davon, dass er jede Frage mit fliegenden Fahnen bestanden hat. An seinen Antworten ist kein Hauch von Falschheit.«
»Na schön, aber eine Frage habe ich noch«, sagt Fallyn. »Was hatte diese Ordenstruppe vor? Warum wollte Evan nach Mount Martyr?«
»Es hieß Operation Frettchen«, antworte ich. »Ihre Mission lautete, das Rebellenhauptquartier zu infiltrieren und Harvey um jeden Preis mitzunehmen. Lebendig.«
»Jetzt frage ich mich natürlich, wieso sie das wollen«, überlegt Harvey laut. In seiner Stimme liegt ein amüsierter Unterton.
»Das ist doch ziemlich offensichtlich, oder, Harvey?«, spottet Fallyn. »Seit Sie uns beigetreten sind, ist unser Vorsprung zu groß geworden. Der Orden kann es nicht mehr hinnehmen, dass Sie uns seine Geheimnisse verraten.”
»Moment mal, was?«, frage ich.
»Die wichtigste Waffe des Ordens, die Duplikate, ist gegen uns jetzt praktisch nutzlos«, fährt Fallyn fort. »Harvey kennt all ihre Geheimnisse, ihre Eigenheiten und die Anzeichen. Und das kann Frank nicht zulassen. Er kann sich nicht erlauben, dass jemand enthüllt, wie seine ganze Technik funktioniert, und sich auf die Verteidigung dagegen vorbereitet. Außerdem will er, dass Harvey die Arbeit beendet, die er begonnen hat.«
Ich sehe den Spiegel im Hintergrund des Raums an. »Ich kann Ihnen überhaupt nicht folgen.«
Fallyn seufzt tief. »Sie wollen ihn zurück. Sie wollen den Mann zurück, der die Duplikate entwickelt hat.«
Und so wird mir eine weitere Wahrheit enthüllt und vor meinen Augen ausgebreitet. Mein Vater hat gesagt, Harvey könne unmöglich das Laicos-Projekt gestartet haben, weil er damals zu jung gewesen sei. Und das stimmt. Aber Harvey wurde schon sehr jung ausgenutzt. Er war so etwas wie ein Wunderkind, ein Genie auf dem Gebiet der Technologie und Genetik. Nachdem es Franks Mitarbeitern nicht gelungen war, aus den geraubten Jungen die Werkzeuge zu schaffen, die er sich erhofft hatte, wurde Harvey im Alter von sechzehn Jahren rekrutiert.
Er arbeitete in den Verteidigungs- und Waffenanlagen von Union Central. Monatelang beugte er sich über Operationstische und entnahm den geraubten Jungen, was er brauchte. Viele Begriffe fallen, die ich nicht verstehe, aber Tatsache ist, dass Harvey durch sein technisches Genie erschuf, wozu kein anderer Wissenschaftler oder Laborant in der Lage gewesen war. Harvey schuf das erste Duplikat. Es war sowohl vom Aussehen als auch von der Persönlichkeit her identisch mit dem
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