Taken
zurück. »Aber ich verspreche, das Ablenkungsmanöver bis zum Spätnachmittag auszulösen.«
»Wir haben schon Mittag.«
»Dann hältst du mich besser nicht mehr von der Arbeit ab. Sei nur bereit, wenn das Signal kommt.«
Mit diesen Worten beendet sie das Gespräch, und ich sitze in dem Waschraum und starre mein verwirrtes Spiegelbild an. Ich versuche mich auf das bevorstehende Ablenkungsmanöver zu konzentrieren, aber selbst wenn ich die Augen schließe, sehe ich nur Emma vor mir. Ganz bestimmt hat Frank das mit Absicht getan, damit ich nur noch an sie denke, um mich abzulenken, mich zu quälen. In dem Bewusstsein, dass ich nichts unternehmen kann, bis ich das Signal von Bree bekomme, verlasse ich den Waschraum. Ich sehe mich nach dem Wachposten um, der mich beschattet hat, aber anscheinend habe ich ihn verloren. Mit meinem Handgelenk kann ich mir keinen Zugang mehr verschaffen, daher muss ich an jeder Tür darauf warten, dass ein Ordensmitglied hindurchgeht und sie aufschließt.
Im Krankenhaus ist viel los, aber Emma ist nirgendwo zu sehen. Vielleicht hat sie den Vormittag frei, oder sie arbeitet in der Nachtschicht. Ich gehe zu ihrem Quartier, meine Füße erinnern sich und tragen mich wie von allein dorthin. Dann warte ich, wie es mir vorkommt stundenlang, bis ein Ordensmitglied ihren Gang verlässt, und schlüpfe dann hindurch. Emmas Tür ist geschlossen, aber darunter fällt Licht hindurch.
Warum bin ich nicht aufgeregt? Warum platze ich nicht vor Freude? Das habe ich mir gewünscht, das war von Anfang an mein Ziel. Dies ist Emma, die ich geliebt habe und immer noch liebe, von der ich geglaubt habe, sie nie wiederzusehen. Ist es deswegen schwer? Weil ein Teil von mir nie geglaubt hat, dass wir wieder zusammenkommen würden? Ich hebe die Hand, um anzuklopfen, halte aber inne. Was soll ich überhaupt sagen?
Ehe ich den Mut verlieren kann, lasse ich die Knöchel gegen das Holz klingen. Ich höre Schritte näher kommen, nackte Füße, die über den Teppich schlurfen. Hände betätigen den Riegel, und dann öffnet sich die Tür, aber das Gesicht vor mir gehört nicht Emma.
»Blaine! Du lebst«, ruft Craw freudestrahlend aus. Hinter ihm kann ich Emma erkennen. Ihr Haar ist zerzaust, die Kissen haben ihm im Schlaf Wellen eingehaucht. Sie hält sich die Bettdecke vor die Brust.
Ich versetze Craw einen Fausthieb ins Gesicht und stürme dann den Gang entlang.
33. Kapitel
Craw flucht.
»Warte, Blaine!« Emma läuft, immer noch in das Bettlaken gewickelt, hinter mir her. Ich bleibe nicht stehen.
»Blaine!«, ruft sie noch einmal. Sie holt mich ein und fasst mich am Arm. »Was in aller Welt ist in dich gefahren?«
Ich drehe mich zu ihr um. Ich bin wütend, so furchtbar wütend, aber ich darf mich nicht verraten und beiße die Zähne zusammen.
»Warum hast du das getan?«, fragt sie. »Ich habe noch nie gesehen, wie du jemanden geschlagen hast. In meinem Leben nicht. Hast …« Aber dann verstummt sie. Sie sieht mir fest in die Augen und sucht nach etwas. Ihr Blick gleitet, beginnend an meinen Augenbrauen, über mein Gesicht und bis zu meinem Kinn hinunter. Dann streckt sie eine Hand aus und legt sie an meine Wange. Während sie mit einem Finger über meine Nase streicht und die Konturen meines Kinns nachzieht, werden ihre Augen immer größer.
»Oh mein Gott«, keucht sie und zieht die Hand zurück. »Gray.«
Ich habe keine Ahnung, woran sie das erkennt, aber sie weiß Bescheid. Ich stehe kurz davor, jede Beherrschung zu verlieren und gleich hier auf dem Gang zu explodieren, daher drehe ich mich um und gehe los.
Emma packt meinen Arm. »Gray, bitte. Es ist nicht so, wie es aussieht.«
»Wie denn, Emma?«, schreie ich und fahre zu ihr herum. Beinahe angstvoll weicht sie vor mir zurück.
»Wir … wir haben dich für tot gehalten. Alle haben das«, sagt sie. »Sie haben behauptet, du wärest beim Angriff der Rebellen dabei gewesen, und dass du und Blaine umgekommen wäret.«
»Wir sind aber nicht tot!«
»Glaubst du, das war leicht für mich?« Ihre Augen werden feucht, und eine kleine Träne rollt über das Muttermal auf ihrer Wange. Obwohl ich zornig bin, schmerzt es mich, sie weinen zu sehen.
»Meinst du, für mich war es einfach? Du hast ja keine Ahnung, was ich durchgemacht habe, um herzukommen, Emma. Und wie vergiltst du mir das? Du schläfst mit Craw.«
»Das ist nicht fair«, entgegnet sie.
»Fair? Dann bin ich jetzt derjenige, der ungerecht ist? Ich habe nie aufgehört, an dich zu denken,
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