Taken
er einfach. »Und es tut mir leid, dass ich dich in den letzten paar Tagen nicht besonders unterstützt habe. Es ist nur so, dass ich dich nicht noch einmal verlieren will.«
Ich nicke. Das war mir klar. Ich bin nie auf die Idee gekommen, er könnte mir in böser Absicht aus dem Weg gehen. Das war einfach seine Art, sich mit der ungewissen Zukunft auseinanderzusetzen, die unaufhaltsam näher kommt.
»Hör da draußen auf dein Bauchgefühl«, sagt er. »Bisher hat es dich am Leben gehalten.«
»Das werde ich.« Beinahe nenne ich ihn Pa, aber er sagt Gute Nacht und verlässt das Zimmer, bevor ich den Mut dazu aufbringen kann.
In dieser Nacht schlafe ich schlecht. In meinen Träumen versuche ich Harvey nach Taem zu bringen, aber er verwandelt sich immer wieder in eine schwarze Krähe, die in die entgegengesetzte Richtung davonfliegt. Schließlich schieße ich ihn vom Himmel. Doch als er auf dem Boden auftrifft, ist er keine Krähe mehr, sondern Bree. Sie ist nackt, das frisch gefärbte braune Haar an ihrem Hinterkopf sieht verfilzt und blutig aus. Ich trage sie auf den Armen und laufe ziellos umher, bis sie verblutet.
Als ich erwache, ist es noch früh, aber ich bin zu nervös, um noch einmal einzuschlafen. Ich klettere aus dem Bett, ziehe meine Ordensuniform an und warte darauf, dass es beginnt.
VIERTER TEIL
Ablenkungsmanöver
32. Kapitel
Wir brauchen vier Tage, um die Stadtgrenze zu erreichen. Es ist ein eigenartiges Gefühl, wieder in der offenen Landschaft zu sein. Seit meiner Ankunft habe ich nur den kleinen Umkreis von Mount Martyr gesehen, und es fühlt sich sehr befreiend an, sich jetzt über das Land zu bewegen und Berge, Hügel und Täler zu durchwandern. Harvey hält uns ein wenig auf, da er körperlich nicht für diese Wanderung trainiert ist, aber er beklagt sich kein einziges Mal.
Ich jage und stelle während der Nacht Fallen auf, damit wir uns jeden Morgen satt essen können. Harvey hält die Rebellen über jeden Schritt des Wegs auf dem Laufenden. Er hat einen kleinen Ohrhörer und ein winziges Mikrofon, in das er ständig hineinflüstert. Bree setzt ihm deswegen zu.
»Sie brauchen nicht zu wissen, dass wir drei Minuten gerastet haben, dass Gray pinkeln gegangen ist oder ich eine Bemerkung über die Farbe des Himmels gemacht habe.«
»Natürlich nicht«, gibt Harvey zurück. »Aber solche Einzelheiten sind nett, wenn dunkle Wolken am Horizont stehen.«
An dem Morgen, an dem Taems schützende Kuppel vor uns auftaucht, halten wir ein letztes Mal zu einer Rast an. Schweigend reichen wir eine Feldflasche mit Wasser herum und betrachten die Stadt, die vor uns aufragt. In sie hineinzugelangen wird einfach, daher sprechen wir nicht darüber. Das große Problem wird sein, sie mit dem Impfstoff wieder zu verlassen.
»Bevor wir aufbrechen, sollten wir Harvey ein wenig herrichten«, meint Bree. »Er muss überzeugend aussehen. Wenn er wirklich deine Geisel wäre, hätte er nicht nur ein durchgeschwitztes Hemd und Schmutz im Gesicht, sondern sähe viel ramponierter aus.«
Ich schaue Harvey an. Er ist so schwächlich und harmlos. Wahrscheinlich könnte ich mich nicht einmal dazu überwinden, ihm eine Ohrfeige zu versetzen.
»Wenn es sein muss«, sagt Harvey. Er lächelt sogar über die Vorstellung.
Ich schüttle den Kopf. »Also, ich übernehme das nicht.«
Bree seufzt tief, marschiert dann zu Harvey hinüber und boxt ihm ohne Vorwarnung ins Gesicht. Dann schüttelt sie die Faust aus, während Harvey seine jetzt blutende Nase betastet.
»Mehr«, beharrt er.
Bree renkt ihm eine Schulter aus. »Wenn Sie vollkommen erledigt sind, nützen Sie uns auch nichts«, erklärt sie. »Eine ausgekugelte Schulter ist im Notfall wenigstens leicht wieder einzurenken.«
Mit diesen Worten nimmt Bree ihre Tasche und wirft sie über die Schulter. »Ich sehe euch dann auf der anderen Seite, Jungs. Viel Glück.«
Sie küsst mich auf die Wange und rennt dann davon. Sie will die Aufmerksamkeit nutzen, die Harvey und ich erregen werden, um einen Trolleybus in die Stadt zu nehmen. Ich sehe ihr nach und lege die Hand auf die Stelle, die ihre Lippen berührt haben.
Wir treten unseren Marsch zu der schimmernden Kuppel an. Harvey geht vor mir und birgt den ausgekugelten Arm an der Brust, während ich mein Gewehr auf seinen Rücken richte. Als wir näher kommen, könnte ich schwören, Franks Blick zu spüren. Irgendwo tief in seiner Festung sitzt er vor einer Kamera und beobachtet, wie sein kostbarster Besitz aus den
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