Takeover
finde deine Freundin Isabel sehr nett«, bemerkte Ferry, als sie am Abfertigungsschalter anstanden.
»Das sagen alle Männer«, erwiderte Judith.
»Sie hat das Gleiche über dich gesagt .« Ferry sah, dass zur Abwechslung dieses Mal Judith rot wurde.
»Was hat sie noch alles so erzählt ?«
»Dass ich auf dich aufpassen soll, und sie mich drankriegt, wenn dir etwas passiert .«
»Das war alles ?«
»Ja, das war alles .«
Sie sahen sich auf dem Flughafen mehrfach genau um, konnten aber nichts feststellen, was darauf hindeutete, dass sie verfolgt wurden. In ihrem neuen Outfit sahen beide aus wie Studenten auf Urlaub und Ferry fing an, sich auch so zu fühlen. Er mochte das Gefühl.
Es war Ferienzeit, Judith und Ferry saßen mit vielen anderen jungen Leuten im hinteren Teil des Flugzeuges. Ferry flog zum ersten Mal seit langer Zeit wieder in der Touristenklasse. Kurz nach dem Start war er mit zwei Studentinnen aus Prag ins Gespräch gekommen, die schrecklich aufgeregt waren, und dann ganz hin und weg, als sie erfuhren, dass Ferry schon einmal in Chicago gewesen war. Den Großteil des Fluges unterhielten sie sich im Gang stehend über Amerika, und wechselten dabei ständig zwischen Englisch und Deutsch hin und her.
Judith war kurz nach dem Start eingeschlafen, und als sie aufwachte, hörte sie Ferry zum ersten Mal in seiner Muttersprache reden. Seitdem er seinen Anzug ausgezogen hatte, kam er ihr völlig verändert vor. Er lachte den Großteil der Zeit, sie verstand zwar nicht, was er erzählte, doch es war nicht zu übersehen, dass er den beiden Frauen gefiel. Schließlich kehrte er zu seinem Platz neben ihr zurück. Judith konnte sehen, dass die jungen Frauen aus Prag sie böse ansahen. Judith war noch ziemlich verschlafen und in eine Decke eingehüllt. Ferry konnte Judiths Haare riechen und dachte daran, was Isabel ihm zu Schluss erzählt hatte.
»Ich habe dein Telefonat heute Vormittag mit angehört. Es ist nett von dir, dass du die Frau von Michael Kunze unterstützen willst«, flüsterte Judith.
»Mein Vater ist gestorben, als ich klein war. Es wird für Frau Kunze nicht leicht werden, mit zwei kleinen Kindern. Wir hatten auch nie Geld. Das Geld wird den Schmerz nicht lindern, aber den Alltag etwas erträglicher machen .«
»Ich habe in einem Artikel über GermanNet gelesen, dass ihr fünf Prozent des Gewinns für gemeinnützige Projekte spendet, stimmt das ?«
»Ja, das haben wir von Anfang an so gemacht. Als wir anfingen, richtig Geld zu verdienen, war ich ziemlich ratlos. Klingt vielleicht komisch, aber ich weiß noch, wie ich bei meinem Steuerberater saß und der mir erzählte, was ich im letzten Jahr verdient hatte. Ich hatte immer das Gefühl, ich hätte diese Menge Geld nicht verdient. Einen Teil davon für einen guten Zweck wegzugeben, erschien mir einfach natürlich. Bei der Gründung von BerlinNetz und später bei GermanNet haben wir das dann beibehalten .«
»Wer entscheidet, was mit dem Geld passiert ?«
»Wir haben eine Stiftung und einen Beirat dafür. Aber teilweise entscheide ich allein. In der letzten Zeit ist es sogar das gewesen, was mich noch am meisten motiviert hat, den Job weiterzumachen. Wir unterstützen viele soziale Projekte in Berlin, Betreuung für Obdachlose, Frauenhäuser, Projekte für ausländische Jugendliche. Manchmal werde ich von den Projekten eingeladen, und ab und zu gehe ich auch hin. Nicht, damit man sich bei mir bedankt, einfach um zu sehen, warum ich das alles mache. Mit dem ganzen Börsenquatsch hingegen kann ich nichts anfangen .«
»Klingt nicht so, als ob dir dein Job noch Spaß macht ?«
»Ich weiß es nicht, ich habe es mir nie wirklich ausgesucht. Es ist einfach so gekommen, wie es heute ist .«
»Wir haben die Erfolgsgeschichte von GermanNet mal in der Vorlesung behandelt. Wenn ich mich richtig erinnere, gibt es eine Case Study der Harvard Business School, die zu dem Ergebnis kommt, dass das soziale Engagement die wichtigste Erfolgskomponente von GermanNet ist. Was denkst du darüber ?«
»Seit wir eine Aktiengesellschaft geworden sind, gibt es eine Menge Widerstände gegen unser soziales Engagement. Ich kann nicht mehr allein bestimmen, was wir mit unseren Gewinnen machen. Ich muss für die fünf Prozent Argumente finden, die auch die Aktionäre überzeugen. Also habe ich eine Marktuntersuchung in Auftrag gegeben. Die Studie hat ein renommierter Professor gemacht, er hat eine Menge Geld dafür bekommen und es war klar, was rauskommen
Weitere Kostenlose Bücher