Takeover
dabei zu beobachten, wie sie ständig mit neuen Sachen aus der Kabine kam.
»Männer mögen Klamotten-kaufen meist nicht besonders. Langweilst du dich ?« , fragte Judith ihn zwischen zwei Anproben, ohne eine Antwort abzuwarten.
Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte es noch stundenlang so weitergehen können, er auf seinem Stuhl und Judith ständig in neuem Outfit. Schließlich blieb die junge Frau in ihrer Kabine. Er konnte ihre Füße sehen und erkennen, dass sie jetzt die Unterwäsche anprobierte. Ferry drehte sich von der Kabine weg und sah in den Verkaufsraum. Eine Mutter mit zwei kleinen Kindern lief an den Umkleidekabinen vorbei. Ferry musste beim Anblick der Kinder plötzlich an Michael Kunze denken. Zwei kleine Kinder hatten nun keinen Vater mehr.
Judith war dabei, sich wieder anzuziehen, als sie Ferry mit dem Handy telefonieren hörte. Ferry rief Diana an. Da es Sonntag war, erreichte er in der Firma nur ihre Voicebox . Er bat sie, die Frau von Michael Kunze, Systemadministrator von X-SECURE, ausfindig zu machen und in Ferrys Namen ein Kondolenzschreiben aufzusetzen. Kurz erklärte er, dass Michael Kunze bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Er bat Diana darum, 50.000 Euro an seine Witwe zu überweisen und sich irgendeinen Grund dafür einfallen zu lassen. Zum Beispiel als Honorar für ein gemeinsames Buchprojekt oder etwas Ähnliches, dabei verließ er sich auf das Gespür von Diana. Außerdem sollte sie Frau Kunze mitteilen, dass sie Ferry jederzeit anrufen könnte, wenn sie etwas brauchte. Zum Schluss fügte er noch hinzu, dass er persönliche Dinge erledigen müsse und in der nächsten Woche wahrscheinlich nicht ins Büro kommen und auch per Mail nicht erreichbar sein werde. Alle dringenden und nicht aufschiebbaren Entscheidungen solle Rolf in seiner Abwesenheit treffen.
Als Judith aus der Kabine kam, war er gerade fertig.
»Ich denke, das Telefonieren hat nicht geschadet. Sie wissen sowieso, dass wir in London sind«, sagte Ferry zur Entschuldigung.
Sie nahmen auf dem Weg zur Kasse noch zwei Reisetaschen mit und Ferry stellte fest, dass sie zusammen weniger bezahlten, als ein einziger seiner Anzüge gekostet hatte.
Mit Taschen und Tüten bepackt gingen beide noch in einen nahe gelegenen Drugstore und fuhren dann mit der U-Bahn zu Judiths Freundin Isabel. Isabel wohnte in einer von Studenten bevorzugten Gegend von London. In einem kleinen Wohnhaus, direkt unter dem Dach.
Isabel öffnete die Tür, und sie und Judith fielen sich zur Begrüßung lachend in die Arme. Die Wohnung hatte zwei kleine Zimmer, eines war Isabels Schafzimmer, das andere war voll gestopft mit Büchern. Dort saßen sie jetzt zu dritt auf Kissen auf dem Boden. Ferry hatte etwas verlegen neben Judith auf dem Boden Platz genommen. Ihre Tüten und Taschen hatten sie im Flur abgestellt und Ferry war dankbar, dass er endlich sitzen konnte.
»Ihr wollt heute noch über den großen Teich ?« , fragte Isabel und sah dabei Ferry interessiert an.
»Ja, wir mussten heute früh überstürzt aus Cambridge weg und wir wären dir dankbar, wenn wir bei dir duschen und uns umziehen könnten«, antwortete Judith.
»Aber klar, wollt Ihr beide gleich ins Bad gehen? Ich mache uns dann in der Zwischenzeit einen Tee«, schlug Isabel vor ohne dabei die Augen von dem attraktiven Mann zu nehmen.
Du gerissenes Miststück, dachte Judith, und beantwortete die Frage für Ferry. »Wir gehen NACHEINANDER ins Bad, Isabel. Wie ich dir schon am Telefon sagte, sind Ferry und ich sozusagen Kollegen. Ferry, willst du zuerst gehen? Ich muss mit Isabel noch einiges klären .«
Ferry hatte sich einige Anzieh- und Kosmetiksachen im Flur zusammengesucht und war im Bad verschwunden. Isabel rief ihm noch hinterher, dass er die Toilette bitte im Sitzen benutzen solle.
Die beiden Frauen bereiteten in der Küche Tee vor. »Nun erzähl schon! Dein Ferry ist ein wirklich attraktiver Mann. Wo kommt er her, sein deutscher Akzent ist ja nicht zu überhören, aber der Name klingt eher italienisch«, bestürmte Isabel Judith.
»Das waren mehrere Fragen auf einmal. Also, wir sind kein Liebespaar. Ich weiß nicht, woher sein Name kommt, aber Deutschland ist richtig. Ferry ist CEO von GermanNet und wir wollen zusammen ein Problem mit Hackern lösen«, klärte Judith die verdutzte Isabel auf.
»Shit, natürlich, der Name kam mir gleich so bekannt vor. Ferry Ranco , der CEO von GermanNet ?« Isabel schlug sich mit der Hand auf die Stirn. » GermanNet ist
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