Tal der Tausend Nebel
für den du geschwärmt hast, als du zwölf Jahre alt warst! Aber lieben, wirklich lieben tust du Stefan. Nach den ersten beiden Idioten, mit denen du deine Zeit verschwendet hast, ist Stefan der beste Mann, den du je haben wirst!«
Maja protestierte lautstark.
»Hallo! Wer von uns beiden hatte immer die Beziehungen zu den Vollidioten? Und seit wann ist Stefan in deinen Augen so etwas wie ein Halbgott?«
»Na, seit er dir einen vernünftigen Antrag gemacht hat! Er traut sich wenigstens etwas zu!«
Bevor Ina vollends ins Schwärmen über Stefan geraten konnte, würgte Maja sie ab. Erneut erzählte sie von ihrem Traum. Woher kamen all diese Details? Wenn sie kein realer Mensch war, wofür stand Elisa dann laut Traumanalyse? War sie ein Teil von Maja? Aber keine von Inas Antworten klangen treffend in Majas Ohren. Vielleicht sollte sie doch lieber mit Keanu über ihren Traum sprechen.
Doch jetzt, da Maja ihm an der Kaffeebar gegenüberstand, fehlte ihr der Mut. Er würde sie sicherlich für überspannt halten, wenn sie von der Vergewaltigung in der Grotte erzählen würde. Oder noch schlimmer, er würde vielleicht denken, sie hätte sich in ihn verliebt. Dabei klopfte Majas Herz jetzt gar nicht aus Liebe seinetwegen so laut, sondern es war lediglich ihre Nervosität. Stumm wie ein Fisch stand sie vor ihm. Er lächelte sie an.
»Kaffee?«
»Ja, bitte, mit Milch und Zucker.«
Sie sah ihm zu, wie er die zwei Becher für sie vorbereitete. Seine Bewegungen waren ruhig und harmonisch. Keine Spur von Anspannung. Maja mochte den kühnen Schwung seiner breiten Schultern. Sie wirkten wie mit dem Lineal gezogen. Im klassischen Trapez lief sein Oberkörper zu einer schmalen Taille zusammen. Sein Hintern war klein und perfekt gerundet. Maja erwischte sich dabei, wie sie ihn musterte, und als er ihr den Kaffee reichte, fühlte sie sich von seinem klaren Blick ertappt.
»Danke für den Kaffee … und danke auch für den schönen Abend gestern«, fügte sie leiser hinzu, damit niemand sie hören konnte, denn immer mehr Leute kamen jetzt in die Cafeteria.
»Bitte, gerne. Dir zu begegnen, hat mir große Freude gemacht«, erwiderte er. Dann schwiegen sie beide, während um sie herum die fröhlichen Stimmen der anderen Teilnehmer immer lauter wurden.
Kurz darauf klingelte es das erste Mal zum Stundenbeginn. Keanu wurde von einer Frau aus dem höheren Semester angesprochen. Maja beobachtete die beiden möglichst unauffällig. Die hübsche Schwangere aus Dänemark hatte den Hawaiianer in ein lebhaftes Gespräch verwickelt. Die beiden unterhielten sich angeregt. Der Name der Frau war Inger, wie Maja mit einem Mal einfiel. Sie hatte ebenfalls einen der Vorträge gehalten. Aber als Maja jetzt ihr gutturales Lachen hörte, in das Keanu einstimmte, spürte sie plötzlich einen schmerzhaften Stich. Es war Eifersucht, denn Keanu hatte seine Hand auf Ingers wogenden Bauch gelegt. Das Baby schien zu strampeln, was ihn sichtlich amüsierte.
Wie schön dieser Mann war, wenn er lachte, dachte Maja mit einer plötzlichen Sehnsucht. Wie sehr sie sich in diesem Moment wünschte, dass er einmal mit ihr so lachen würde. Aber ihr Gefühl sagte ihr, dass das unmöglich war. Von sich aus würde er bestimmt keinen Schritt mehr auf sie zumachen, denn die gestrige Nacht hatte auch ihm einen Schrecken eingejagt. Sie waren sich viel zu schnell viel zu nahe gekommen, und wahrscheinlich würde er sie von nun an meiden. Wenn, dann würde sie aktiv werden müssen. Aber Maja hielt eine ungewisse Scheu davon ab, sich zu Inger und Keanu dazuzugesellen. Fast wäre es ihr lieber gewesen, wenn Keanu an diesem Morgen nicht erschienen wäre. Das zumindest redete sich Maja ein, während sie ihren Kaffee allein in kleinen Schlucken trank.
Es klingelte zum zweiten Mal. Doch selbst als Keanu noch einmal kurz an die Frühstückstheke trat, um seinen Becher abzustellen, traute sie sich nicht mehr, etwas zu sagen. Und dann war es zu spät. Der Dozent trat aus der Tür. Die erste Vorlesung begann.
Auch den restlichen Tag lang war Maja, als würde eine unsichtbare Glaswand zwischen ihnen stehen. In der einzigen Vorlesung, die sie gemeinsam hatten, fühlten sie sich beide unwohl. Sie entschied sich deshalb dafür, den leeren Stuhl neben ihm einfach zu übersehen. Auch er achtete auf Abstand. Einmal hatte sie das Gefühl, dass er heimlich zu ihr hinübersah. Doch kaum erwiderte sie seinen Blick, schlug er die Augen nieder. Und so war es nicht nur an diesem Tag.
Bis zum
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