Tal der Tausend Nebel
allen voran Ina, zu einem prallen Schwangerschaftsbauch im Hochzeitskleid? Die schönsten Namen für einen kleinen Jungen oder aber ein Mädchen hatten sie sich ausgedacht. Stefan wollte als erstes Kind lieber ein Mädchen. Valerie sollte es heißen. Aber es war nichts passiert. In dem halben Jahr ohne Pille war kein Kind entstanden.
Maja sah auf ihr Handy. Auf ihrem Display blinkte bereits seit geraumer Zeit eine Nachricht von Stefan. »Ankunft morgen Abend um Viertel vor acht am Flughafen Nizza. Bringe Fizzy mit. Liebe Dich einmal zum Himmel und zurück!«
Maja schickte ihm eine nette Nachricht zurück. Fizzy war so etwas wie ein Geheimcode zwischen ihnen. Der kleine Plüschaffe, der Maja seit frühster Kindheit begleitet hatte, war ihr Tröster in größter Not. Stefan wusste vielleicht doch, wie schlecht es ihr ging, wenn er auch nicht ahnen konnte, warum. Sie konnte ihm nichts von Elisa erzählen und von ihren verwirrenden Gefühlen für Keanu erst recht nicht. Dazu war Stefan viel zu rational und praktisch veranlagt. Wenn sie Pech hatte, würde er sie am Ende noch zu einem Psychiater schicken.
Manchmal hatte sie Zweifel an seinem echten Interesse an ihr. Oft schien er mehr mit ihrem Äußeren als mit ihrer Seele zu tun haben zu wollen. Er verstand nicht, dass für Maja so viele Dinge wichtig waren, die keinerlei praktischen oder materiellen Wert hatten. Oft war er sehr viel mehr an seinen medizinischen Fällen interessiert als an ihr. Mit fünfunddreißig hatte seine Karriere oberste Priorität. Er wollte mit fünfzig Chefarzt sein. Die Konkurrenz war hart. Sein Weg dorthin erlaubte kein längeres Verweilen an den Abenteuerspielplätzen der Romantik.
Maja seufzte, als sie an Stefans bevorstehende Ankunft in Nizza dachte. Sie fühlte sich immer noch schuldig wegen ihrer Nacht mit Keanu. Wie konnte sie nur so leichtfertig sein, während Stefan an ihrer gemeinsamen Zukunft arbeitete? Er wollte dafür sorgen, dass Maja in Zukunft die Freiheit hatte, bei ihren Kindern zu Hause zu bleiben. Sie sollte nur so viel arbeiten, wie es ihrem Nachwuchs guttat. Das hatte er ihr angeboten. Und sie träumte von Kauai und einer Suche nach ihren hawaiischen Wurzeln.
Das schlechte Gewissen hing ihr wie ein Mühlstein um den Hals. Sie würde am Flughafen sein. Aber mit der Ehrlichkeit, wie ihr Vater sie zeitlebens von ihr verlangt hatte, war ihre Lust auf ein Wochenende mit Stefan auf den Nullpunkt gesunken.
Unruhig stand sie auf. Es war spät geworden. Fast Mitternacht zeigte ihre Uhr. Ein kleines Fischerboot mit einem Licht am Bug bog um die nächtliche Mole. Es tuckerte leise in Richtung Strand. Kurz gab Maja sich der Phantasie hin, dass er auf dem Boot sein würde. Seine Mandelaugen, brennend vor Sehnsucht, würden fieberhaft den Strand nach ihr absuchen. Bis zum Morgengrauen würde er hier auf sie warten. Alles würde Keanu tun, um sie ein letztes Mal in seine Arme zu schließen, weil er sich trotz aller Hindernisse ebenso stark in sie verliebt hatte wie sie sich in ihn. Sie würden sich ihre Liebe gestehen, übereinander herfallen und sich lieben. Hier, am Strand unter den Sternen, würde er ihrem quälenden Verlangen endlich ein Ende bereiten. So, oder zumindest so ähnlich, wäre es in jedem halbwegs brauchbaren Liebesfilm. Aber das hier war leider nur die schnöde Realität.
Am Strand stank es nach Kloake. Keanu kam nicht. Der Sommer war vorüber.
8. Kapitel
Haifischmann, September 2010
Die nächtlichen Gassen der Altstadt wirkten schäbig und verlassen, wie ein Rummelplatz, nachdem die Vergnügungssüchtigen gegangen waren. Der penetrante Gestank von Müll und den Ausdünstungen schäbiger Touristenrestaurants begleiteten Maja auf ihrem Weg zur Parkgarage. Die letzten Besucher der Saison grölten auf Dänisch oder sonst einer nordischen Sprache hemmungslos auf dem Weg zu ihrem Hotel. Die Nordlichter erlaubten sich hier gerne ihre Alkoholexzesse, das hatte sie schon öfter beobachtet. Aber auch ein einsamer einheimischer Betrunkener tastete sich murmelnd an einer Häuserwand entlang und bemühte sich um Gleichgewicht. Nizza konnte zum Saisonende erstaunlich trostlos sein.
Maja ging schnell und ohne sich aufzuhalten. Im Parkhaus stand ihr Auto in der untersten Etage, weil vorhin kein anderer Parkplatz mehr frei gewesen war. Sie hasste das Parken in Nizza, besonders die Garage unter dem alten Justizpalast, aber heute hatte sie sonst nirgendwo ihr Auto loswerden können. Tagsüber war Markt gewesen, eine beliebte
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