Tal der Tausend Nebel
Licht an und schob ihr Kleid hoch, um die Stelle genauer zu untersuchen. Doch es war nichts zu sehen. Gleichzeitig erinnerte sie sich an die entsetzliche Szene in der Grotte. Die Demütigung, die Angst und schließlich die rücksichtslose Vergewaltigung. Aber hatte das alles wirklich je stattgefunden? Und wenn ja, was genau hatte Maja damit zu tun?
Sie lag auf ihrem Bett in der luxuriösen Villa in Antibes und fühlte den rasenden Herzschlag in ihrer Brust. Sie war völlig nassgeschwitzt. In der Villa war es gespenstisch still. Wie lange hatte sie geschlafen? Der Wecker zeigte drei Uhr früh, also waren es nur wenige Stunden. Aber jetzt war sie hellwach. Sie hatte zudem Angst davor, erneut einzuschlafen, denn vielleicht würde der Traum zurückkommen. Alles war so entsetzlich real gewesen, selbst das ängstliche Wiehern der Stute und Jansons eiserner Griff, als er ihr Gesicht in ihr Kleid gedrückt hatte. Rosen hatte Maja gerochen und einen Hauch von Jasmin. Es war Elisas Parfum.
Doch als Maja erneut ihren Schenkel befühlte, an der Stelle, wo die Narbe so abstoßend wulstig war, konnte sie rein gar nichts mehr spüren. Auch zu sehen war lediglich die appetitliche Glätte ihrer vom Sommer gebräunten Haut. Aber sie musste irgendwie mit Elisa verbunden sein, denn als Maja sich jetzt in dem breiten Bett aufrichtete, zitterte ihre Hand so heftig, als hätte sie selber eine Vergewaltigung durchlebt. Nie zuvor waren die Bilder eines Traumes derartig intensiv gewesen. Wahrscheinlich waren Maja die Muscheln nicht bekommen. Oder vielleicht hatte sie beim Essen mit Keanu zu viel Wein getrunken? Mit einem plötzlichen Anflug von Schuldgefühl dachte sie an ihre Begegnung mit dem Mann aus Kauai. Es war völlig verrückt gewesen, mitten in der Nacht mit ihm im Meer zu schwimmen.
Maja stand auf, um sich den Schweiß abzuduschen. Kurz überwältigte sie beim Duschen die Erinnerung. Es hatte sie fasziniert, wie offenbar der Hawaiianer im Wasser in seinem Element war. War er es, der diesen Traum von Elisa geschickt hatte? Gab es so etwas überhaupt? Konnte ein Mensch einem anderen Träume schicken? Maja war noch nie auf Hawaii gewesen. Ihre Eltern hatten jedoch öfter von der Reise auf die hawaiischen Inseln gesprochen, die ihr Vater noch vor ihrer Hochzeit unternommen hatte, um nach seinen Vorfahren zu forschen. Dabei war er auch auf Kauai gewesen. Daran glaubte Maja sich zumindest jetzt zu entsinnen, als sie ihre Erinnerungen durchforschte. Kauai war die Heimatinsel von Keanu, aber vor allem auch die Insel in Majas Traum. Aber wer genau war Elisa Vogel? War sie eine fiktive Gestalt? Oder hatte es sie wirklich einmal gegeben?
Maja hatte sich bis jetzt immer nur rudimentär und bei Bedarf mit Traumforschung beschäftigt. Sigmund Freud war ihr immer viel zu trocken gewesen und der Rest zu esoterisch für ihren Geschmack. Aber Träume waren das Steckenpferd ihrer besten Freundin Ina. Wenn Maja überhaupt mal etwas Erwähnenswertes träumte, was selten genug vorkam, so fragte sie Ina Lebkowiz. Gleich morgen würde sie Ina anrufen, am besten über Skype. Dann würde sie ihr vorsichtig von ihrer Begegnung mit Keanu erzählen, natürlich ohne ihre erotische Begegnung im Meer zu erwähnen. Ina konnte sehr moralisch sein, und das konnte Maja im Moment am allerwenigsten gebrauchen. Ihre eigenen Schuldgefühle reichten ihr.
Während das wohltuende, warme Wasser auf ihren Kopf und Körper prasselte, verdichtete sich der Nebel in der Duschkabine. Das ungute Gefühl, nicht alleine zu sein, überfiel Maja wie aus dem Nichts. Aber es war von solch bedrohlicher Vehemenz, dass sie die Temperatur abrupt von Warm auf Kalt stellte, um im Nebel besser sehen zu können. War jemand mit ihr im Bad? Ihr Herz klopfte erneut panisch. Ihre Phantasie ging mit ihr durch. Sie glaubte, Janson atmen zu hören, und roch sogar fast den Alkohol und den Tabak in seinem widerlichen Atem. War das sein dicker bleicher Bauch da drüben bei der Badezimmertür? Aber es war nur die Kontur ihres Bademantels. Und als der Nebel vor der Duschkabine sich durch das kalte Wasser schnell lichtete, verschwand auch ihr ungutes Gefühl. Nein, natürlich war da niemand. Es konnte niemand mit Maja in der Villa sein, denn die Alarmanlage war sicherer als die eines Tresors.
Das fremde, erschreckende Gefühl, welches Maja bereits einmal mit Keanu im Meer überfallen hatte, wollte nicht mehr ganz von ihr weichen. Etwas in ihrer Wahrnehmung hatte sich entscheidend verändert, so als sei
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