Tal der Tausend Nebel
über die Frauen. Vor allem aber bedienten sie sich nicht mit Gewalt an ihren Körpern. Das war das größte Tabu von allen. Man konnte noch nicht einmal darüber sprechen.
Elisa verstand auf ihrem nächtlichen Gang, warum Noelani sich vom Wasserfall in den Tod gestürzt hatte, nachdem die Gewalt, die Piet van Ween ihr angetan hatte, Folgen zeigte. Es war kein Akt der Rebellion oder der Verzweiflung gewesen, sondern die Konsequenz eines tiefen Schamgefühls. Elisa hatte dieses Gefühl nicht gekannt. Aber jetzt wusste sie, was es war. Anders als bei dem Hai, der sie versehrt hatte, war Janson eine Kreatur ihrer eigenen Art. Er hatte sich ihrer bedient, gegen ihren Willen. Sie ekelte sich vor ihrem eigenen Körper, weil er ihn besessen hatte. Ihr Unterleib war ihr merkwürdig fremd und dieses fremde Gefühl hatte begonnen, sich auszubreiten. Selbst ihre Hände sahen im Mondlicht merkwürdig fahl und tot aus. Sie glaubte unter ihren Fingernägeln Spuren seiner Haut zu fühlen. Das konnte nicht sein, denn sie war lange im Wasser gewesen, aber es fühlte sich so an. Ihre Hände waren ein Teil von ihm. Schnell ließ sie ihre Hände außer Sichtweite fallen, aber ihre zerstörerischen Gedanken wollten nicht aufhören, sich immerzu um Janson zu drehen.
Zwar schritten ihre bloßen Füße gehorsam auf dem Weg entlang, der zurück zur Nordspitze der Insel führte, aber auch diese Füße gehörten ihr jetzt nicht mehr. Elisa spürte den Sand unter den Fußsohlen nicht, so wie auch ihre Beine taub und ihr gänzlich fremd waren. Gehörte ihr ganzer Leib jetzt Gerit Janson? Warum ging sie dann nicht zu ihm, um den Besitz zu besiegeln? Ob sie von nun an in ihrem eigenen fremden Körper leben müsste oder aber an seiner Seite, war bestimmt kein großer Unterschied.
Sie spürte noch einen einzigen Schmerz, aber auch den nur, wenn sie sich darauf konzentrierte. In ihrem Unterleib schien eine Lava aus brodelnder Dunkelheit zu regieren. Bisweilen spürte sie ein Stechen, aber sie war sich auch hier nicht sicher, ob diese Empfindung wirklich zu ihrem eigenen Körper gehörte. Vielleicht bildete sie sich diese Schmerzen nur ein. Das feine Rinnsal von Blut, das an der Innenseite ihres Oberschenkels herablief, ignorierte sie einfach. Dieser ganze Teil ihres Körpers gehörte nicht mehr ihr. Sollte Janson ihn doch nehmen. Der Gedanke daran machte sie noch nicht einmal besonders traurig. Sie war ja schon tot.
Elisa kam gut voran. Das stetige Laufen war eine Erleichterung. Um sich von ihren morbiden Gedanken abzulenken, zählte sie die Sterne am Horizont, sobald sie den dichten Dschungel hinter sich gelassen hatte. Das Stück Straße, das vor ihr lag, ging bis auf ein paar Kurven um den Berg herum gerade herunter bis fast zum Meeresufer. Dort war auch die Abzweigung hoch zum Wasserfall, die Elisa von ihren Ausflügen mit Kelii gut kannte. Wenn sie es bis dorthin geschafft hatte, wäre sie in Sicherheit. In Keliis Dorf, da war sie sich sicher, würde man ihr weiterhelfen.
Wieder strauchelte sie, diesmal war es kein Ast, sondern ihre Schwäche. Sie legte ihre Hände auf ihren Oberschenkel und spürte das vertraute Zittern der Muskulatur. Obwohl sie viel trainiert hatte, erlahmte jetzt ihr verletztes Bein, sodass sie es hinter sich herziehen musste. Sie atmete tief ein und aus, um auch das auszublenden, und zwang sich Meter für Meter vorwärts. Sie zählte die Sterne, lauschte dem Geräusch der Wellen und einem gelegentlichen Rascheln der Mäuse. Sie versuchte, die Gerüche um sich herum zu definieren, um nicht an das Erlebte zu denken.
Das nächtliche Kauai war voller Düfte, doch am meisten liebte Elisa die betörende Süße des wilden Jasmins, der jetzt überall blühte. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie erneut an Kelii dachte. Wo er wohl in diesem Augenblick sein mochte?
Das Bellen des Hundes hörte sie zuerst. Kurz darauf die Räder der Kutsche und das aufgeregte Wiehern der Pferde. Dann sah sie auch schon den Schein der beiden Fackeln, die an den Seiten des Kutschbocks steckten. Noch waren sie weit genug weg. Elisa konnte sich seitlich in die Büsche schlagen. So schnell und so weit es ihr in der kurzen Zeit möglich war, kletterte sie die kleine Böschung hinauf. Dahinter ließ sie sich fallen. Sie hörte, wie die Kutsche näher kam. Der Hund bellte lauter und jetzt fast ohne Unterlass. Die Kutsche verlangsamte ihre Fahrt. Dann hielt sie schließlich an. Elisa hörte die Stimme ihres Onkels.
»Warum bellt die verdammte
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