Tal der Tausend Nebel
Amalas Hütte, in der diese mit ihrem Mann, ihren Kindern und ihrer alten, blinden Mutter lebte. Kelii, sein Vater und Leilani waren immer noch nicht von der Nachbarinsel Oahu zurückgekehrt. Man sprach von einem geplanten Aufstand der Königstreuen. Elisa schwieg. Sie konnte nicht mehr sprechen, nahm aber dankbar das grüne Pulver, frisches Wasser und ein wenig Obst zu sich. Dann wollte sie nur noch schlafen, am liebsten für immer oder bis Kelii sie nach diesem bösen Traum wieder aufwecken würde.
11. Kapitel
Südfrankreich, Septemberdämmerung 2010
»Nein, Stefan, es geht wirklich nicht. Ich kann nicht an den Flughafen kommen. Bitte nimm dir ein Taxi. Ich bin gestern Nacht gestürzt. Nein, nur an Hüfte, Bein und im Gesicht habe ich mich leicht verletzt. Aber heute habe ich den ganzen Tag geschlafen, um mich zu regenerieren … Ja, ich weiß, wie teuer das Taxi ist, aber ich kann beim besten Willen nicht mit meinem Auto gefahren … Ich habe vorhin ein Schmerzmittel genommen. Bis später! Guten Flug!«
Das mit dem Schmerzmittel war gelogen. Maja war vor einer Stunde relativ ausgeruht aufgewacht und hatte festgestellt, dass sie den Tag verschlafen hatte. Das Mittel von Keanu musste stark gewesen sein. Aber sie hatte erneut von Elisa geträumt. Es war zur Abwechslung ein schöner Traum gewesen.
Elisa war in einem grünen Tal oben in den Bergen, in dem es oft mehrmals am Tag kurz regnete. Alles war saftig und so unglaublich grün, selbst im Traum erschien es fast unwirklich. Aber es ging Elisa gut. Kelii war erst eine Weile nach Elisas Ankunft im Dorf mit seiner Familie aus Oahu zurückgekommen. Im Königshaus gab es Probleme, die auch Kauai betrafen. Die Kluft des Hasses zwischen Weißen und Hawaiianern war dabei, sich noch zu vertiefen. Aus kleinstem Anlass wurden Hawaiianer auf offener Straße gefangen genommen und zur Strafe in Gefängnisse gesteckt, in denen sie oft Monate auf eine Verhandlung warteten.
Im Dorfrat beschloss man daher, dass es nicht gut war, Elisa bei ihnen zu verstecken. Zusammen mit ihrem Liebsten schickte man sie in ein verborgenes Tal weit oben auf dem Berg Kawaikini, dem höchsten Berg Kauais. Elisa trug dort nur noch hawaiische Kleidung. Kelii hatte ihr eine kleine Hütte gebaut. Er blieb oft für mehrere Tage bei ihr, bevor er zurück in sein Dorf und auf die Plantage musste. Elisa lebte dann wie ein Eremit, wartete nur auf seine Rückkehr und war glücklicher als je zuvor in ihrem Leben. Endlich konnte sie frei und mit ihrem Liebsten zusammen sein. Es war wie im Paradies, wenn auch ein kindliches. Das Frausein hatte Elisa seit der grausamen Nacht in der Grotte verlernt. Freundschaft wollte sie von ihrem Liebsten und auch seinen Schutz. Weiter nichts.
Maja liebte ihre Träume von Elisa. Jeden einzelnen hatte sie akribisch aufgezeichnet und jedes Mal eine kleine Zeichnung dazu angefertigt. Diesmal war es Elisa in einem hawaiischen Kleid, wie sie am Ufer eines steilen Bergbaches aus Gräsern einen Korb flocht.
Nachdem ihr Telefonat mit Stefan schon eine ganze Weile zurücklag und er inzwischen bereits im Flieger von München nach Nizza sitzen musste, duschte sie noch einmal ausgiebig. Sie wollte nicht nur das letzte bisschen Schlaf aus ihren Gliedern vertreiben, sondern sich vor ihrem Treffen zumindest halbwegs in den Griff bekommen. Sie konnte nur noch an Keanu denken. Durch das Pulver aus der Tausend-Nebel-Pflanze hatte sie den ganzen Tag geschlafen, weder ihr Telefon gehört, noch mitbekommen, wie die Putzfrau in die Villa kam. Ganze zwölf Stunden hatte sie im Tiefschlaf oder besser gesagt im Traumschlaf verbracht. Währenddessen hatten sich die Prellungen an ihrer Hüfte und an ihrem Bein von einem entzündeten Rot in ein sattes Lila verwandelt. An ihrer Wange war kaum noch etwas zu sehen, stellte sie zufrieden fest und entfernte im Dampf der Dusche Keanus Pflaster.
Ihr Gesicht sah im Spiegel nach einem sehr schlechten Gewissen aus. Tatsächlich tat es ihr aufrichtig leid, Stefan belügen zu müssen, aber sie hatte im Moment keine andere Wahl. Sie wollte Keanu so viel Zeit wie möglich geben, das hatten sie vereinbart. Bevor sie wegen des Überfalls und der versuchten Vergewaltigung in der Tiefgarage zur Polizei ging, um Anzeige zu erstatten, würde Maja die lokalen Nachrichten bei Radio Nizza anhören, danach die lokale Presse lesen.
Sollte ihr Angreifer nach dem Zusammenprall mit ihrer Kühlerhaube wirklich gestorben sein, wäre es im Radio zu hören oder in den Zeitungen
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