Tal der Tausend Nebel
übertönen.
»Frustfraß! Ich muss jeden Abend mindestens eine Tafel Schokolade haben …«
Ina verstand. Wenn sie auch nicht jedes Detail kannte, so wusste sie um Majas Zweifel an ihrer Liebe zu Stefan. Mitfühlend ergriff die Freundin ihre Hand, um sie zu trösten.
»Torschlusspanik, so nennt man, was du gerade erlebst. Es trifft viele Frauen, nachdem sie einen Heiratsantrag bekommen. Stefans Antrag war einfach wirklich … wirklich …«
Ina hatte keine Worte, aber sie deutete auf Majas Verlobungsring mit einem Gesichtsausdruck, der alles sagte. Ina hielt Maja für den Glückspilz schlechthin.
Auch Maja sah jetzt Stefans Ring an, den sie nach wie vor an ihrem Ringfinger trug. Sie nickte und lächelte, was sollte sie auch anderes tun. Aber sie empfand nichts.
Als sie kurz darauf ihre Brieftasche öffnete, um ihr Radler zu bezahlen, das sie kaum angerührt hatte, fiel ihr Blick auf einen Zettel. Es war die Adresse in München, die Keanu ihr noch in Nizza, als Anela ihr seine Mail zeigte, hatte zukommen lassen. Maja hatte die Botschaft vergessen oder, besser gesagt, mit Absicht verdrängt. Jetzt nahm sie den Zettel in die Hand. Die Adresse, die darauf stand, war ganz in der Nähe der Theresienwiese.
Als Maja eine halbe Stunde später in dem kleinen Massagesalon stand, war ihr mulmig zumute. Obwohl ihr das Ambiente gefiel, wollte sie am liebsten gleich wieder gehen, weil sie sich in ihrem grasgrünen Dirndl plötzlich albern vorkam. Aber dann gefielen ihr die exklusiven Fotos von Hawaii an den Wänden, manche in Schwarzweiß, einige noch aus den Fünfzigerjahren. Der Laden hatte wirklich Stil. Die Besitzerin bot außer hawaiischen Massagen traditionelle Behandlungen der Krankengymnastik und medizinische Massagen auf Kassenrezept an.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Wieder stand eine exotische Schönheit vor Maja, allerdings handfester als die zarte Anela in Nizza und mit europäischem Einschlag.
Einem ersten Impuls folgend, nannte Maja weder ihren Namen, noch erwähnte sie den Grund ihres Kommens, sondern gab vor, sich für hawaiische Massage zu interessieren. Die junge Frau erzählte zunächst ein wenig von der Massagetechnik Lomi Lomi und erwähnte dann ihre hawaiischen Wurzeln.
»Die Familie meiner Mutter stammt ursprünglich aus einem kleinen Dorf auf Kauai. Jedes Jahr einmal trifft sich unser ganzer Klan. Wir sind viele, fast tausend Mitglieder inzwischen, verteilt über die ganze Welt. Immer treffen wir uns auf einer anderen Insel Hawaiis, obwohl meine eigenen Wurzeln, wie gesagt, nach Kauai führen … In unserem kleinen Dorf lebte unsere legendäre Ahnin Elisa Vogel, ursprünglich aus Deutschland … Sie gehörte zu dem Stamm der Sharkpeople, also des Haifischklans …«
Ihr Wissen war nicht so präzise wie das von Keanu, aber Maja hörte ihr trotzdem fasziniert eine Zeit lang zu. Dann hielt sie es nicht mehr aus.
»Haben Sie jemals von der Haifischfrau geträumt? Können Sie sich an so etwas erinnern?«
Erstaunt sah die Frau sie an, doch plötzlich lächelte sie wissend.
»Sie müssen Maja sein, Maja Kemper, nicht wahr? Ich habe etwas für Sie – von meinem Keanu. Seit Wochen warte ich darauf, dass Sie sich melden. Anela hat mich angerufen, nachdem Sie bei ihr in Nizza waren. Sie hat mir von euch beiden erzählt …«
Wieder lächelte sie, diesmal ein wenig verschmitzt.
»Es ist gut, dass Sie endlich gekommen sind, aber wir sollten nicht so lange reden. Das Erste, was ich für Sie tun muss, so hat mein Cousin es mir aufgetragen, ist eine Behandlung. Er schenkt Ihnen eine lange Stunde Lomi Lomi bei mir. Sie hatten sich doch in Nizza verletzt, nicht wahr? Heute habe ich keine Kunden mehr. Sie können sich dort drüben ausziehen.«
Keine Minute später stand Maja in der Umkleidekabine und wunderte sich über sich selbst. Sie mochte keine Massagen, außerdem war sie kein Mensch, der spontane Überraschungen schätzte. Aber als sie kurz darauf, in ein großes Frotteetuch gehüllt, das Behandlungszimmer betrat, war sie spontan verzaubert. Es roch wunderbar nach exotischen Blüten und ein wenig nach Sandelholz.
»Aloha …«
Die restlichen hawaiischen Worte verstand Maja nicht. Aber die junge Frau, die ab ihrem fünften Lebensjahr in München gelebt hatte und ungefähr in Majas Alter sein mochte, war jetzt Hawaii pur. Sie hatte sich eine Orchidee ins Haar gesteckt. Im Hintergrund lief »Somewhere Over the Rainbow«, von Israel Kamakawiwo’ole sanft auf seiner Ukulele gezupft. Sogar ein entferntes
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