Tal der Tausend Nebel
auch sonst die Würde und Traditionen ihres Volkes zu bewahren. Wenn es so etwas wie Adel unter den Hawaiianern gab, dann gehörte Keliis Familie zweifelsohne dazu. Keliis Mutter stammte aus der Königsfamilie. Daher war sie auch sofort nach der Inhaftierung von Königin Lili’uokalani nach Maui abgereist, um ihrer Familie beizustehen.
Auch in den Augen von Elisas Onkel gehörte Kelii in eine andere Kategorie als die gewöhnlichen Feldarbeiter. Selbst wenn er der Plantage den einen oder anderen Dienst erwies, so wurde er bevorzugt behandelt. Über das hawaiische Königsblut lästerte Elisas Tante allerdings spöttisch. Hochmütig und arrogant sei Keliis Kanaka-Familie, weil sie sich für etwas Besseres hielt. Aber Elisa gab nicht viel auf solche Worte. Weder ihr Onkel noch ihre Tante hatten auch nur die geringste Ahnung von der hawaiischen Kultur. Primitive Wilde, die zum Arbeiten auf den Feldern mit der Peitsche gezwungen werden mussten, weil sie lieber in der Ecke lagen und billigen Schnaps tranken, lautete der Konsens. Die Plantage der Gebrüder Vogel gehörte dabei noch zu den löblicheren Ausnahmen, wenn es um den Umgang mit den Arbeitern ging. Van Ween benutzte seine Peitsche lediglich in Ausnahmefällen.
Während Elisa ihre Schritte in dem kühlen Becken sorgfältig setzte, um nicht auf dem glitschigen Untergrund auszurutschen, dachte sie über die Unmöglichkeit ihres Lebens nach. Sie war durch und durch eine Deutsche und fühlte sich zu Hause in den vielen beruhigenden Ritualen auf der Plantage, die an ihre alte Heimat erinnerten. Dennoch lebte Elisa durch ihre Verbindung mit Kelii inzwischen in zwei Welten, die eigentlich unvereinbar waren. Um ihrem neuen Freund zu gefallen, bemühte sie sich, so viel wie möglich über die Welt der Hawaiianer zu lernen, denn Wissen spielte eine enorme Rolle für ihn. Im Gegenzug bemühte sich Kelii, ihrer Welt zumindest halbwegs gerecht zu werden.
»Nicht alles bei euch ist schlecht!«
Kelii sagte diese Worte immer wieder, fast so, als würde er die grausame Realität dadurch beschwören können, denn was er tagtäglich in seinem Dorf sah und erfuhr, waren vor allem Ungerechtigkeiten. Viele Weiße behandelten ihre hawaiischen Dienstboten wie den letzten Dreck.
»Zeige mir, wie ich ein Deutscher werde!«
Elisa hatte anfangs über ihn gelacht, aber bald schon verstanden, dass er ihr zuliebe mehr Nähe zu ihrer Familie suchte. So wollte er auf der Plantage immer öfter bei Elisas Onkel sein. Sie fand ihn tagsüber im Kontor. Wenn der junge Hawaiianer auch noch nicht korrekt auf Deutsch lesen und schreiben konnte, so konnte er doch ausgezeichnet rechnen, wovon Paul Vogel jetzt regelmäßig profitierte. Wenn die monatlichen Abrechnungen erstellt werden mussten, war Kelii zur Stelle. Nie machte er auch nur einen einzigen Fehler.
Ein britischer Missionar hatte den Kindern seines Dorfes vor gut zehn Jahren eine Menge beigebracht. Leider war dieser Missionar eines Tages erschlagen beim großen Wasserfall aufgefunden worden. In Ermangelung anderer Verdächtiger hatten die Plantagenbesitzer daraufhin grausam in Keliis Dorf gewütet. Fünf Männer hatte man als angebliche Mörder aufgeknüpft, um ein Exempel zu statuieren. Kelii hatte das nie erwähnt. Aber Elisa erfuhr es von dem alten Fried, der regelmäßig am Sonntagabend zum Essen zu ihnen auf die Plantage kam.
Friedrich von Königsburg entstammte einem verarmten Adelszweig, der wiederum weitläufig mit Elisas gräflicher Großmutter verwandt war. Der alte Fried, wie er von seinen Freunden genannt wurde, wusste sehr viel über die Geschichte der Hawaiianer zu erzählen. Besonders die Geschichten über Keliis Dorf faszinierten Elisa mehr und mehr. Sie realisierte aber auch schnell, dass nicht alles der Wahrheit entsprach, was Fried nach ein paar Gläsern Wein von sich gab. Elisas Mutter munkelte hinter vorgehaltener Hand, dass einst eine hawaiische Schönheit Fried den Kopf verdreht hatte. Nur deshalb sei er so lange auf der Insel geblieben. Angeblich hätte der alte Fried mit seiner einheimischen Schönheit in wilder Ehe zwei Kinder gezeugt, bevor sie vor einigen Jahren gestorben sei.
Elisa hatte Fried in einem Anfall von plötzlichem Wagemut einst unter vier Augen angesprochen.
»Verzeihen Sie meine Neugierde, aber stimmt es, dass Sie zwei Kinder in meinem Alter hier auf der Insel haben?«
»Wie kommen Sie denn darauf, mein schönes Fräulein Elisa? Wenn ich Kinder hätte, dann würden sie doch meinen Namen tragen,
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