Tal der Tausend Nebel
oder etwa nicht?« Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
»Falls Sie mich aber auf Ihre dezente Art und Weise fragen wollen, ob es auf dieser Insel Früchte meiner Huldigung an den Gott Amor gibt, so kann ich das durchaus bestätigen. Sie haben den Klatsch richtig gedeutet! Die beiden sind in Ihrem Alter, aber Sie werden Sie wohl kaum je in Ihren Kreisen zu Gesicht bekommen …«
Als Elisa ihr Befremden ausgedrückt hatte, erntete sie lediglich ein mildes Lächeln. Über diese Dinge sprach man in der höheren Gesellschaft nicht ausführlicher, vor allem nicht als junge Dame.
Dennoch waren auch Fried und Elisa über ihre sonntäglichen Begegnungen langsam vertrauter miteinander geworden. Sie konnte bei Fried ihren generellen Wissensdurst über das Volk der Hawaiianer und die Geschichte des hawaiischen Königshauses, wie sie von außen gesehen wurden, stillen.
In akribisch genauer Handschrift hielt Elisa in jeder Sonntagnacht am Rand ihres Skizzenbuchs fest, was sie beim Abendessen vom alten Fried erfahren hatte. Den Rest ihrer Neugierde ergänzte sie teilweise aus Schriften in der Bibliothek. So wurde sie für Kelii mit der Zeit immer mehr zu einem echten Gegenüber. Ihr Deutschunterricht erweiterte sich auf Unterricht über die Geschichte Hawaiis und diesmal war er der Lehrer.
»Die Weißen schreiben viel Unsinn …!«
Kelii versuchte, ihr auf seine Weise zu erklären, wie die Kultur der Hawaiianer entstanden war. Dieser Version widersprach der alte Fried beim folgenden Sonntagsmahl heftig.
»Alles nur Unsinn, was dein Kelii sagt. In Wirklichkeit hat die königliche Familie Kamehameha zwar über die Inselgruppe Hawaii geherrscht, aber es gab nie Frieden. Zwistigkeiten unter den verschiedenen Zweigen der königlichen Familie zerbrachen immer wieder die Einheit unter den Inseln, bis es zu Kriegen kam.«
Elisa hatte energisch gekontert, dass daran vor allem die Europäer schuld waren. Immerhin hatten sie das Inselvolk gestört. Aber Fried schüttelte energisch seinen Kopf, sodass sein schütteres weißes Haar in Unordnung kam.
»Als die Europäer kamen, herrschte bereits seit Langem kein Frieden mehr! Das Volk der Hawaiianer war unter sich zerstritten. Es war unfähig, einen Konsens zu erlangen, dem die gesamte Königsfamilie zustimmen konnte!«
Jetzt mischte sich auch Elisas Onkel in das Gespräch ein.
»Am schlimmsten ist die jetzige Königin! Sie ist zwar stark gen Westen orientiert und durch ihr vermischtes Blut nur zur Hälfte Hawaiianerin, aber das Weib ist unmöglich! Wie kann eine Frau, die zur Hälfte Schottin ist, nur derartig verbohrte Ideen haben? Sei bloß vorsichtig, Elisa, dass Kelii dir keine verqueren Flausen in den Kopf setzt, denn mit dieser Königin wird es ein böses Ende nehmen.«
Seine bessere Hälfte nickte energisch. Katharina liebte es, wenn Elisa zurechtgewiesen wurde, und stimmte mit ein.
»Die Frau ist einfach verrückt! Dabei hätte sie die Europäer und vor allem auch die Amerikaner mit Klugheit und Zurückhaltung durchaus für sich gewinnen können. Aber durch ihr Studium im Westen hat sie Ideen für die Frauen in ihrem Volk, die völlig absurd sind.«
Auch Elisas Mutter gab Katharina recht.
»Solche Ideen sind zwar grundsätzlich fortschrittlich, haben aber auf diesen rückständigen Inseln einfach keinen Platz. Wir reden hier zum Großteil von unkultivierten Wilden!«
Elisa sah ihre Mutter erstaunt an.
»Die Königin wollte doch nur erreichen, dass von jetzt an auch alle einheimischen Mädchen auf den hawaiischen Inseln zur Schule gehen sollten!«
Katharina lachte laut.
»Nicht nur das, den einheimischen Frauen Hawaiis sollte auch das Studieren ermöglicht werden, wenn sie Begabung zeigten.«
Eine ganz und gar absurde Idee, wie auch der alte Fried fand, der die Mädchen und Frauen Hawaiis vor allem ihrer sinnlichen Schönheit wegen schätzte, wie er sagte.
»Weder die Europäer noch die Amerikaner können diese Monarchin ernst nehmen, Elisa, sag das deinem Freund.«
Paul sah ihr direkt in die Augen.
»Aber vor allem achte darauf, liebe Nichte, dass du nicht allzu oft mit ihm gesehen wirst. Die Leute beginnen bereits zu reden …«
Elisa verstand den warnenden Blick und verfolgte das Thema bei Tisch nicht weiter. An diesem Abend zeigte Fried ihr im Geheimen sein eigenes Skizzenbuch, das voll mit Zeichnungen einer halbnackten einheimischen Schönheit war.
»Sie war eine Offenbarung … ein Geschenk der Götter.«
Elisa sagte nichts, sondern lächelte nur
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