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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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in diesem Moment auch nur seine Hand anfassen zu dürfen. Der Sog war so stark, dass ihr Atem schnell und heftig ging. Unzählige Male hatte sie sich auf ihrem Krankenlager gewünscht, Kelii möge ein einziges Mal ihre Lippen berühren. Jetzt wünschte sie sich nichts sehnlicher, als mit ihm zu verschmelzen. Aber genau das war es, wogegen sie ankämpfen musste. Es wäre mehr als nur Sünde. Nicht nur die Hölle im Jenseits, sondern vor allem ihre Mutter, ihr Onkel und ihre Tante würden ihr niemals verzeihen. Verzweifelt flüsterte sie: »Bitte, Kelii, bitte, bitte, wenn du mein Freund bist, dann komm jetzt nicht näher …«
    Auch Kelii atmete schwer, und sie glaubte seine Erregung zu spüren. Seine Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern: »Ich … ich will dich, Elisa.«
    Vor Glück und Angst zugleich stiegen ihr die Tränen in die Augen. Er empfand genau so wie sie, vielleicht quälten ihn seine Gefühle sogar noch mehr, wie sie mit einem Mal vermutete, als sie ihm in die Augen sah. Keinerlei Belustigung oder Spott war jetzt noch in dem sanften Dunkelbraun seiner Mandelaugen zu sehen. Im Gegenteil, ein fast heiliger Ernst ging von ihm aus. Er ließ sich wenige Schritte vor ihr auf einem der größeren Felsen nieder, um ihr zu zeigen, dass er ihren Wunsch nach einem sicheren Abstand respektierte. »Ist es so besser?«
    Elisa nickte erleichtert: »Ja, danke! Aber du musst bitte auch wegsehen, während ich meine Kleider anziehe. Wenn ich meinen Unterrock anhabe, dann können wir zusammen zum Wasserfall. Dann gehe ich mit dir schwimmen … dann sind wir wieder Freunde … dann ist alles wieder gut.«
    Kelii sah gehorsam weg. Er rührte sich nicht vom Fleck, während Elisa hastig ihre Kleider durchwühlte und ihren Unterrock hervorzog. Ruhig begann er unter dem dichten Blätterdach, durch das die Sonnenstrahlen ein feines Lichtspiel auf die schwarze Erde warfen, mit einem Stock ein Muster zu zeichnen. Dabei pfiff er wie ein bestimmtes Vogelmännchen. Elisa pfiff beim Anziehen zurück, nach der Art des dazu passenden Weibchens. Das Imitieren der Vogelstimmen eines Paares war ein Spiel, das Elisa ihm vor einiger Zeit beigebracht hatte. Sie hatte es noch von ihrem Vater gelernt.
    Wenn Kelii und sie nachts auf ihren geheimen Wanderungen weit genug weg von der Plantage waren, übten sie Vogelstimmen. Kelii brachte ihr dann den Namen bei, den sein Volk diesem Vogel gab. So hatten sie in letzter Zeit vermieden, über das zu sprechen, was seit einiger Zeit glühend und unkontrollierbar in jedem von ihnen heranwuchs.
    Auch als Elisa mit ihrem Unterrock bekleidet zurück zu ihm kam, wollte sie keinesfalls über das reden, was zwischen ihnen stand. Wahine und Kane, Frau und Mann, das durfte zwischen ihnen kein Thema sein. Elisas Familie hatte andere Pläne mit ihr. Wenn überhaupt, dann gab es auf Kauai nur weiße Männer wie den alten Fried, die sich mit hawaiischen Frauen zusammengetan hatten. Es gab auch einfach nicht genug weiße Frauen auf den Inseln für jeden weißen Mann, sodass eine hawaiische Geliebte allgemein toleriert wurde.
    Aber keine weiße Frau hatte jemals einen Hawaiianer zum Mann gewählt, soweit Elisa wusste. Es hätte denkbar heftig gegen die guten Sitten verstoßen. Eine Frau von Elisas Stand wäre geächtet worden. Samt Nachkommen müsste sie für immer der guten Gesellschaft auf den Inseln fern bleiben, aber auch nach Deutschland würde sie nicht zurückkehren können. So ein grausames Schicksal nahm freiwillig keine der hiesigen weißen Frauen auf sich. Aber sehr wohl wurde hinter vorgehaltener Hand getratscht, dass sich die eine oder andere ältere Witwe von ihrem hawaiischen Hausboy ein wenig das Leben versüßen ließ.
    Zum Beispiel Mrs. Malloroy, eine geborene Schottin, die mit ihrem Mann vor über dreißig Jahren eine der ersten Plantagen gegründet hatte, war seit zehn Jahren verwitwet. Sie hatte jede Menge Verehrer, weigerte sich aber, erneut einen Europäer zu heiraten. Angeblich hatte sie einen hawaiischen Liebhaber in ihrem Alter, so hatte Elisa es von ihrer Mutter hinter vorgehaltener Hand erzählt bekommen. Der Klatsch und Tratsch, der auf den monatlichen Inseltreffen der europäischen Frauen ausgetauscht wurde, blühte in dieser Hinsicht. Jeder noch so kleine mögliche Skandal ließ die Herzen der gelangweilten Ehefrauen höher schlagen. Die Mutter hatte ihr einige der Skandalgeschichten erzählt, denn selber hatte Elisa bisher noch keinen Zutritt zu dem illustren Kreis der Frauen. Erst

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